Reflex
Pferde waren Ende April auf die Weide gekommen, und am vierten Mai erschossen worden.
Ich schaltete den Projektor aus und fuhr zur Rennbahn nach Windsor. Ich rätselte an den Ungereimtheiten herum und hatte ein Gefühl, als wäre ich in der sicheren Erwartung, das Zentrum erreicht zu haben, in einen Irrgarten um die Ecke getreten, nur um festzustellen, daß ich in einer Sackgasse gelandet war, umgeben von drei Meter hohen Hecken.
In Windsor erwartete mich ein mittelmäßiger Renntag, da alles, was Rang und Namen hatte, bei einem bedeutenderen Meeting in Cheltenham war, und wegen der schwachen Konkurrenz hatte eines von Harolds langsamsten alten Jagdpferden seinen großen Tag. Die Hälfte der übrigen, genauso alten Pferde stürzte netterweise, und mein altersschwacher Kumpel lief nach dreieinhalb Meilen Schinderei in großen Sätzen mit vor Erschöpfung gesenktem Kopf als Erster ins Ziel.
Er stand mit bebender Brust auf dem Absattelplatz, während ich, kaum weniger erschöpft, an den Gurtschnallen zerrte und meinen Sattel losmachte, aber angesichts der erfreuten Überraschung seiner hoffnungsfrohen älteren Besitzerin schien es die Mühe wert gewesen zu sein.
»Ich wußte, daß er es eines Tages schaffen würde«, sagte sie überschwenglich. »Ich wußte es. Ist er nicht ein großartiger alter Knabe?«
»Großartig«, stimmte ich zu.
»Es ist seine letzte Saison, wissen Sie. Ich muß ihn in den Ruhestand versetzen.« Sie klopfte ihm den Hals und sagte zu seinem Kopf hin: »Wir werden alle nicht jünger, alter Knabe, stimmt’s? Es kann nicht ewig so weitergehen, traurig aber wahr. Alles hat ein Ende, stimmt’s, alter Junge? Aber heute war ein großer Tag.«
Ich ging hinein und ließ mich wiegen, und ihre Worte begleiteten mich: Alles hat ein Ende, aber heute war ein großer Tag. Zehn Jahre waren großartig gewesen, aber alles hatte ein Ende.
Mein Inneres sträubte sich noch gegen den Gedanken an ein Ende, insbesondere an ein Ende, das von Victor Briggs diktiert wurde, aber irgendwo streckte der zarte Keim der Akzeptanz sein erstes Blättchen in die Dunkelheit. Das Leben änderte sich, alles hatte ein Ende. Ich selbst änderte mich. Ich wollte es nicht, aber es passierte einfach. Lange Zeit hatte ich mich treiben lassen, nun zog es mich an den Strand.
Außerhalb des Waageraums wäre keiner darauf gekommen. Ich hatte diese Woche untypischerweise vier Rennen gewonnen. Ich war der Jockey in Höchstform. Ich hatte eine Niete zum Sieg geführt. Verschiedene Trainer hatten mir für die nächste Woche fünf Rennen angeboten. Das ›Erfolg zieht Erfolg nach sich Syndrom‹ war Trumpf. Überall Hochstimmung, Lächeln ringsumher. Und das alles knapp sieben Tage nach der Katastrophe mit Daylight. Kaum zu glauben.
Ich genoß die Glückwünsche und verscheuchte die Zweifel, und wenn jemand in diesem Moment von Aussteigen geredet hätte, hätte ich gesagt: »Na sicher … in fünf Jahren.«
Es war keine Rede davon. Niemand erwartete, daß ich ausstieg. Aussteigen war ein Wort, das in meinem Kopf herumspukte, nicht in den Köpfen der anderen.
Jeremy Folk erschien wie angekündigt am folgenden Morgen, wand seine Storchengestalt schüchtern durch meine Haustür und folgte mir in die Küche.
»Champagner?« sagte ich und holte eine Flasche aus dem Kühlschrank.
»Es ist … ähm … erst zehn Uhr«, sagte er.
»Vier Siege müssen gefeiert werden«, sagte ich. »Wollen Sie lieber Kaffee?«
»Ähm … eigentlich … nicht.«
Trotzdem nahm er den ersten Schluck so, als würde seine Lasterhaftigkeit ihn überwältigen, und ich dachte, daß er trotz seiner raffinierten Tour tief im Herzen ein Konformist war.
Er hatte den Versuch gemacht, sich locker zu kleiden: kariertes Baumwollhemd, Baumwollkrawatte, hübscher hellblauer Pullover. Was immer er über meinen offenen Kragen, meine offenen Manschetten und mein unrasiertes Kinn denken mochte, er sagte es nicht. Er ließ seinen Blick wie gewohnt aus höchster Höhe prüfend umherschweifen und konzentrierte ihn wie gewohnt auf mein Gesicht, als seine Frage Gestalt angenommen hatte.
»Waren Sie … ähm … bei James Nore?«
»Ja.«
Ich bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich auf die ledergepolsterte Eckbank am Küchentisch zu setzen, und gesellte mich zu ihm, die Flasche in Reichweite.
»Er führt eine glückliche Ehe in Camden Hill.«
»Ach«, sagte Jeremy. »Aha.«
Ich lächelte. »Mrs. Nore hat ihn eines Tages überraschend besucht. Sie war vorher nie
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