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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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dagewesen. Sie hat James’ Freund kennengelernt, und sie hat wohl zum ersten Mal bemerkt, daß ihr Sohn hundertprozentig schwul ist.«
    »Ach«, sagte Jeremy; der Groschen war gefallen.
    Ich nickte. »Keine Nachkommen.«
    »Und da kam sie auf Amanda.« Er seufzte und trank etwas blaßgoldenen Schampus. »Sind Sie sicher, daß er homosexuell ist? Ich meine … hat er das gesagt?«
    »Mehr oder weniger. Aber ich kenne mich mit Homosexuellen aus, ich habe eine Zeitlang mit zwei Schwulen zusammengelebt. Man kriegt das irgendwie ins Gespür.«
    Er schien leicht schockiert zu sein und überspielte es mit einem Rückfall in sein trottelhaftes Gestottere.
    »Ach ja? Ich … sind Sie …? Ähm … Ich … Also … Leben Sie alleine …? Es geht mich nichts an. Entschuldigung.«
    »Wenn ich mit jemand ins Bett gehe, ist dieser jemand weiblich«, sagte ich sanft. »Ich mag nur nichts Dauerhaftes.«
    Er vergrub seine Nase und seine Verlegenheit in seinem Glas, und ich dachte an Duncan und Charlie, die sich drei Jahre lang in meiner Gegenwart umarmt, geküßt und geliebt hatten. Charlie war älter als Duncan gewesen, ein gestandener Mann in den Vierzigern, solide, fleißig und freundlich. Charlie war für mich Vater, Onkel und Beschützer zugleich gewesen. Duncan war geschwätzig und streitsüchtig und ein sehr guter Kumpel gewesen, und keiner von den beiden hatte versucht, mich in seiner Richtung zu beeinflussen.
    Duncan war langsam weniger geschwätzig und dafür streitsüchtiger und ein weniger guter Kumpel geworden, und eines Tages hatte er sich in einen anderen verliebt und war ausgezogen. Charlies Kummer war leichenblaß und hoffnungslos tief gewesen. Er hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt und mich an sich gedrückt und geweint; und ich hatte geweint, weil Charlie unglücklich war.
    Meine Mutter war binnen einer Woche aufgekreuzt, hereingestürmt wie ein Wirbelwind. Riesige Augen, hohle Wangen, flatternde Seidenschals.
    »Aber Charlie, Liebling, du mußt doch einsehen, daß ich Philip nicht bei dir lassen kann«, sagte sie. »Jetzt, wo Duncan weg ist. Schau ihn dir an, Lieber, er hat sich ganz schön herausgemacht. Charlie, Liebling, du mußt einsehen, daß er nicht hier bleiben kann. Jetzt nicht mehr.« Sie hatte zu mir hinübergesehen, strahlend, aber zerbrechlicher, als ich sie in Erinnerung hatte, und weniger hübsch. »Pack deine Sachen, Philip, mein Liebling. Wir gehen aufs Land.«
    Charlie war in das kleine Kabuff gekommen, das er und Duncan in einer Ecke des Ateliers für mich gebaut hatten, und ich hatte ihm gesagt, daß ich ihn nicht verlassen wollte.
    »Deine Mutter hat recht, Junge«, sagte er. »Es ist Zeit, daß du gehst. Wir müssen tun, was sie sagt.«
    Er hatte mir beim Packen geholfen und mir zum Abschied eine seiner Kameras geschenkt, und noch am selben Tag wurde ich aus dem alten Leben in ein neues katapultiert. Am gleichen Abend lernte ich, wie man eine Pferdebox ausmistet, und am nächsten Morgen fing ich an zu reiten.
    Nach einer Woche hatte ich an Charlie geschrieben, um ihm mitzuteilen, daß ich ihn vermißte, und er hatte ermutigend geantwortet, daß ich bald darüber hinwegkommen würde. Und ich kam darüber hinweg, während Charlie sich schrecklich nach Duncan verzehrte und zweihundert Schlaftabletten schluckte. Eine Woche vor den Pillen hatte Charlie ein Testament gemacht, in dem er mir seinen ganzen Besitz, einschließlich seiner anderen Kameras und der Dunkelkammerausrüstung vermachte. Er hinterließ auch einen Brief, in dem er sich entschuldigte und mir Glück wünschte.
    »Paß auf Deine Mutter auf«, schrieb er. »Ich glaube, sie ist krank. Mach weiter mit dem Fotografieren. Du hast das Auge dafür. Du kommst schon klar, Junge. Mach’s gut, Charlie.«
    Ich trank etwas Champagner und sagte zu Jeremy: »Haben Sie die Liste der Mieter von Pine Woods Lodge von den Maklern bekommen?«
    »Ach Gott, ja«, erwiderte er, erleichtert, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. »Ich habe sie hier irgendwo.« Er klopfte etliche Taschen ab, steckte aber zwei Finger treffsicher in die, in der er den Zettel, den er suchte, verstaut hatte, und ich fragte mich, wieviel Energie er wohl täglich für seine Ablenkungsmanöver verschwendete.
    »Da haben wir’s …« Er breitete den Zettel aus und zeigte darauf. »Wenn Ihre Mutter vor dreizehn Jahren dort war, müßte sie entweder mit den Pfadfindern, der Fernsehgesellschaft oder den Musikern zusammengewesen sein. Aber die Fernsehleute haben

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