Reflex
und runzelte die Stirn. »Von den Fotos sind doch noch keine veröffentlicht worden? In Zeitungen oder Zeitschriften oder sonstwo?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nirgendwo. Ich hab mich nie darum bemüht.«
»Sie sind unglaublich. Sie haben so viel Talent und nutzen es nicht.«
»Aber … jeder fotografiert.«
»Natürlich. Aber nicht jeder fotografiert serienweise Bilder, die einen ganzen Lebensstil widerspiegeln.« Sie streifte die Asche ab. »Da ist alles drin. Die harte Arbeit, die Hingabe, das schlechte Wetter, die Eintönigkeit, die Triumphe, der Schmerz … Ich habe die Bilder nur einmal durchgesehen, und auch noch völlig ungeordnet, und ich weiß, was für ein Leben Sie leben. Ich kenne es von Grund auf, weil Sie es so fotografiert haben. Ich kenne Ihr Leben von innen. Ich sehe, was Sie gesehen haben. Ich sehe die Begeisterung bei den Pferdebesitzern. Ich sehe die unterschiedlichen Typen. Ich sehe, was Sie den Stallburschen verdanken. Ich sehe die Sorgen der Trainer, es liegt alles drin. Ich sehe das Lachen, das in den Jockeys steckt, und ihren Gleichmut. Ich sehe, was Sie empfunden haben. Ich sehe, was Sie von den Leuten begriffen haben. Ich sehe die Menschen mit anderen Augen als zuvor, weil ich sie durch Ihre Augen sehe.«
»Ich wußte nicht, daß diese Bilder so aufschlußreich sind«, sagte ich.
»Sehen Sie sich das letzte hier mal an«, sagte sie und zog es heraus. »Diese Aufnahme von einem Mann in einem Overall, der dem Knaben mit der gebrochenen Schulter den Stiefel auszieht … Man braucht keine Worte, um zu erklären, daß der Mann so sanft wie möglich zieht oder daß es weh tut … man sieht das alles, in jeder Linie der Körper und Gesichter.« Sie legte das Bild in die Mappe zurück und sagte ernsthaft: »Ich werde einige Zeit brauchen, bis ich alles so geregelt habe, wie ich es mir vorstelle. Können Sie mir die Zusage geben, daß Sie die Bilder nicht an jemand anderen verkaufen?«
»Natürlich«, sagte ich.
»Und erwähnen Sie es bitte mit keinem Wort meinem Chef gegenüber, wenn er zurückkommt. Es soll mein Buch werden, nicht seins.«
Ich schmunzelte. »In Ordnung.«
»Sie haben vielleicht keinen Ehrgeiz«, sagte sie scharf, »aber ich.«
»Ja.«
»Und mein Ehrgeiz tut Ihnen nicht weh«, sagte sie. »Wenn das Buch ein Knüller wird … und es wird einer … bekommen Sie Tantiemen.« Sie besann sich. »Sie können jedenfalls einen Vorschuß haben, sobald der Vertrag unterzeichnet ist.«
»Vertrag …«
»Natürlich Vertrag«, sagte sie. »Und bitte verwahren Sie die Bilder sicher. Ich werde ihretwegen bald wiederkommen, und zwar allein …«
Sie überreichte mir die Mappe, und ich legte sie in den Aktenschrank zurück, so daß ihr energiegeladener junger Chef bei seiner Rückkehr nur die Bilder von Lambourn zu sehen bekam. Er meinte ohne große Begeisterung, daß sie brauchbar seien, und kurz danach trugen er und Clare sie davon.
Als sie weg waren, dachte ich, daß Clares Sicherheit in bezug auf ihr Buch sich wieder verflüchtigen würde. Ihr würde einfallen, daß fast alle ihre Bekannten Leute, die mit Pferden zu tun hatten, verachteten. Sie würde zu dem Schluß kommen, daß ein Buch mit Fotos, die ein Jockey über sein Leben gemacht hatte, nur einen sehr begrenzten Kreis von Leuten ansprechen würde, und sie würde mir entschuldigend oder ohne Umschweife mitteilen, daß sie nun doch, nach reiflicher Überlegung …
Ich zuckte die Achseln. Ich hatte keinerlei Erwartungen. Wenn der Brief kam, war die Sache eben erledigt.
11
Ich fuhr nach Swindon, um die Filme abzuholen, die ich dort am vorigen Morgen auf dem Weg nach Wincanton zum Entwickeln gegeben hatte, und verbrachte den restlichen Freitag damit, Abzüge von den Aufnahmen von Lance Kinship und seiner Mannschaft zu machen.
Abgesehen von den Bildern, die deutlich das Mißbehagen der Truppe in seiner Gegenwart offenbarten und die ich ihm auf keinen Fall zeigen wollte, hielt ich es für durchaus wahrscheinlich, daß sie ihm gefallen würden. Zu meinem Glück hatte sich die Truppe oft ganz natürlich aufgebaut, und Kinship, der in seiner Rennbahnkluft mit aller Kraft einen auf feiner Herr machte, dirigierte sie mit großen Gesten, und auf einer Bildfolge preschten die Pferde hinter der Truppe sehr schön frontal aufs Ziel zu.
Es waren auch einige Nahaufnahmen von Kinship dabei, auf denen seine Truppe verschwommen den Hintergrund bildete, und ein paar leicht surrealistische Perspektiven, die ich direkt hinter dem
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