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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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weißem Papier getippter Brief, so daß die Buchstaben selbst blaßgrau aussahen, blaßgrau, aber klar und deutlich.
    Der Brief lautete:
     
    Lieber Mr. Morton,
    ich bin sicher, daß die beiden beiliegenden Fotos Sie interessieren. Wie Sie feststellen werden, zeigt das erste Foto Ihr Pferd Amber Globe bei seinem schlechten Abschneiden in Ihren Farben im 14-Uhr-30-Rennen in Southwell am Montag, dem 12. Mai.
    Des weiteren werden Sie feststellen, daß auf dem zweiten Bild Ihr Pferd Amber Globe zu sehen ist, wie es das 16-Uhr-Rennen in Fontwell am Mittwoch, dem 27. August, gewinnt.
    Wenn Sie sich die Bilder genau ansehen, werden Sie feststellen, daß es sich nicht um dasselbe Pferd handelt. Sie sind ähnlich, aber nicht identisch.
    Ich bin sicher, daß der Jockey Club sich für diesen Unterschied interessieren würde. Ich werde Ihnen jedoch in Kürze telefonisch einen Alternativvorschlag machen.
    Hochachtungsvoll
    George Millace
     
    Ich las ihn an die sechsmal durch, nicht weil ich ihn nicht gleich verstanden hätte, sondern um Zeit zu haben, ihn zu verarbeiten und nachzudenken.
    Einige sachliche Feststellungen waren zu machen, zum Beispiel, daß der Brief keinen Briefkopf, kein Datum und keine handgeschriebene Unterschrift aufwies. Es stand zu vermuten, daß es sich bei den anderen vier blaßgrau gemusterten Bildern ebenfalls um Briefe handelte; und daß ich damit Georges eigenwilliges Ablagesystem entdeckt hatte.
    Jenseits dieser platten Gedanken lag eine Art Chaos: das Gefühl, in einen Abgrund zu blicken. Wenn ich die anderen Briefe vergrößerte und las, konnte es passieren, daß ich Dinge erfuhr, die es unmöglich machten, ›einfach abzuwarten, was passierte‹. Ich könnte, wie schon im Fall des graufleckigen Liebespaars, das Gefühl bekommen, daß es schwächlich und falsch war, nichts zu unternehmen. Wenn ich Georges sämtliche Geheimnisse erfuhr, mußte ich die moralische Last der Entscheidung, was damit geschehen sollte, auf mich nehmen … und entsprechend handeln.
    Um die Entscheidung aufzuschieben, ging ich nach oben ins Wohnzimmer und blätterte die Rennkalender durch, um herauszufinden, in welchem Jahr Amber Globe am zwölften August in Fontwell gewonnen hatte; und es war vor vier Jahren gewesen.
    Ich schlug Amber Globes Karriere von Anfang bis Ende nach, und sie lief im wesentlichen auf drei oder vier mäßigere Vorstellungen, gefolgt von einem leichten Sieg bei hohen Quoten hinaus, ein Muster, das sich über vier Jahre hinweg zweimal pro Saison wiederholte. Amber Globes letzter Sieg war der am zwölften August gewesen, und seitdem hatte er an keinem Rennen mehr teilgenommen.
    Eine ergänzende Nachforschung ergab, daß der Trainer von Amber Globe in keinem der folgenden Jahre in der Trainerliste auftauchte, also wahrscheinlich dem Geschäft den Rücken gekehrt hatte. Anhand dieser speziellen Bücher war zwar nicht festzustellen, ob der ›Liebe Mr. Morton‹ in der Folge andere Pferde besessen und im Rennsport eingesetzt hatte, aber solche Fakten waren in zentralen offiziellen Rennsportberichten festgehalten.
    Der liebe Mr. Morton und sein Trainer hatten zwei Pferde unter dem Namen Amber Globe laufen gehabt, das gute bei hohen Wetten eingesetzt, und das mäßige, um die Quoten hochzutreiben. Ich fragte mich, ob George das Muster bemerkt und dann ganz zielbewußt die Fotos gemacht hatte, oder ob er die Fotos lediglich im Laufe der Arbeit gemacht und dann die Verschiedenheit der Pferde bemerkt hatte. Das festzustellen oder zu erraten war nicht möglich, da ich die fraglichen Fotos nicht gefunden hatte.
    Ich sah eine Weile aus dem Fenster auf die Downs hinaus und ging ein wenig auf und ab, hantierte mit ein paar Gegenständen und tat nichts Besonderes, wartete nur auf das Eintreffen der tröstlichen Gewißheit, daß Wissen keine Verantwortung nach sich zog.
    Ich wartete vergeblich. Ich wußte, daß ich eine Verantwortung hatte. Das Wissen war unten, und ich mußte es mir aneignen. Ich war schon zu weit gekommen, um noch aufhören zu wollen.
    Unruhig, verängstigt, aber mit dem Gefühl, daß es unvermeidlich war, ging ich hinunter in die Dunkelkammer, zog der Reihe nach die vier anderen Negative ab und las die so erhaltenen Briefe in der Küche.
    Während alle fünf im Trockner lagen, saß ich eine Ewigkeit da, starrte ins Leere und hing unzusammenhängenden Gedanken nach.
    George war fleißig gewesen.
    Georges hinterhältige Boshaftigkeit wurde so deutlich, als könnte ich seine Stimme hören.
    Georges

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