Reflex
durch das Negativ, so daß ein tiefes klares Blau herauskam.
Ich wollte Georges leere Farbnegative auf Schwarzweißpapier abziehen und auf diese Weise das Blau der Rechtecke loswerden, aber vielleicht bekam ich statt dessen nichts weiter als graue Rechtecke.
Schwarzweiß-Fotopapier reagiert nur auf blaues Licht (deshalb kann man Schwarzweißabzüge im roten Dunkelkammerlicht machen). Ich dachte, wenn ich die scheinbar leeren Negative durch starkes reines Blau filterte, könnte ich einen stärkeren Kontrast zwischen dem gelben Farbbild auf dem Negativ und der orangenen Schicht, mit der es überzogen war, erzielen. Die Bilder würden sich damit von ihrer Umgebung abheben.
Ich hatte das Gefühl, daß sich unter der Deckschicht ohnehin kein klares Schwarzweiß verbarg … denn wenn das der Fall gewesen wäre, hätte man es trotz des Blaus und durch es hindurch gesehen. Was ich suchte, würde in irgendeiner Form grau sein.
Ich bereitete die Entwicklerwannen, das Stoppbad und den Fixierer vor und schob die ersten sechsunddreißig fleckenlosen Negative in einen Rahmen für Kontaktabzüge. Hier lag das Negativ direkt auf dem Fotopapier auf, wenn es belichtet wurde, so daß jeder Abzug genau die gleiche Größe hatte wie das Negativ. Der Rahmen hielt die Negative lediglich bequem zusammen, so daß alle sechsunddreißig auf einmal auf einen Bogen im Format zwanzig mal fünfundzwanzig abgezogen werden konnten.
Das größte Problem war die richtige Belichtungszeit, vor allem deswegen, weil das durch starken Blaufilter gefilterte Licht viel schwächer auf das Negativ fiel, als ich es gewohnt war. Ich verschwendete sechs Abzüge für Tests, die unbrauchbare Ergebnisse von Grau bis Schwarz lieferten, während all die kleinen Rechtecke immer noch so aussahen, als gäbe es auf ihnen nichts zu sehen, was immer ich auch anstellte.
Gereizt verkürzte ich schließlich die Entwicklungszeit weit stärker, als es mir vernünftig erschien, und erhielt einen Abzug, der fast völlig weiß war. Ich stand in dem trüben roten Licht und betrachtete das weiße Papier im Entwickler, auf dem sich so gut wie gar nichts tat, außer daß ganz blaß die Bildnummern der Negative sichtbar wurden, sowie schwache Linien, die die Ränder der Negative anzeigten.
Mit einem frustrierten Seufzer ließ ich es so lange im Entwickler liegen, bis sich nichts mehr tat, und legte es dann deprimiert ins Stoppbad, fixierte und wässerte es und knipste das Licht an.
Fünf von den Rechtecken waren nicht völlig weiß. Fünf der kleinen Rechtecke, wahllos verstreut unter den sechsunddreißig, zeigten ganz blasse graue geometrische Formen.
Ich hatte sie gefunden.
Ich merkte, wie ich vor alberner Freude lächelte. George hatte ein Rätsel hinterlassen, und ich hatte es fast gelöst. Falls ich einmal seinen Platz einnehmen würde, dann deshalb, weil er mir zustand.
Falls … Mein Gott, dachte ich. Wo kommen Gedanken her? Ich hatte nicht die Absicht, seinen Platz einzunehmen. Keine bewußte Absicht. Der Gedanke war direkt aus dem Unterbewußtsein gekommen, ungebeten, unerwünscht.
Mit einem leichten Frösteln und einem vagen Gefühl der Beunruhigung notierte ich ohne jedes Lächeln die Bildnummern der fünf graugemusterten Bilder. Dann wanderte ich eine Weile durchs Haus und erledigte unwesentliche Arbeiten wie Bettmachen und Sitzkissen ausklopfen und Geschirrspüler einräumen. Machte mir eine Tasse Kaffee und trank sie in der Küche. Erwog, ins Dorf zu gehen und eine Sonntagszeitung zu kaufen, kehrte aber statt dessen wie unter Zwang in die Dunkelkammer zurück.
Es war etwas völlig anderes, wenn man wußte, um welche Negative es ging und wonach man ungefähr zu suchen hatte.
Ich nahm das erste in der Zahlenfolge, es war die Nummer sieben, und vergrößerte es auf das volle Papierformat von zwanzig mal fünfundzwanzig. Ein paar weitere schlecht geschätzte Entwicklungszeiten führten zu undeutlichen grauen Abzügen, aber zu guter Letzt bekam ich einen, der sich zu Mittelgrau auf Weiß entwickelte, und ich nahm ihn aus dem Entwickler, sobald der schärfste Kontrast erreicht war, legte ihn ins Stoppbad, fixierte und wässerte ihn und brachte ihn ins Tageslicht der Küche.
Obwohl der Abzug noch naß war, konnte man genau sehen, was darauf war. Man konnte es mühelos lesen. Ein mit Schreibmaschine geschriebener Brief, der mit den Worten ›Lieber Mr. Morton‹ begann und mit ›hochachtungsvoll, George Millace‹ endete.
Ein mit einem alten grauen Farbband auf
Weitere Kostenlose Bücher