Regenbogen-Welt (German Edition)
sitzende Gestalt, die ihnen entgegenblickte.
„Es sieht aus, als ob er uns erwartet.” Barb blickte Maiitsoh
Hilfe suchend an.
Der Große Wolf nickte. „Du hast Recht, er wartet tatsächlich auf
uns.”
Saha blickte in die Runde. Sah in all die gespannten und
erwartungsvollen Gesichter. Nur Kasur und Dahsani hatten sich abgewandt. Die
Schlange redete hektisch auf das Stachelschwein ein. Saha hätte zu gerne
gewusst, was die beiden zu tuscheln hatten. Aber der rote Schamane, wie sie
Hiawatha insgeheim nannte, wartete auf sie, und das war weitaus interessanter.
Saha ergriff Ishtars Hand. Der hochgewachsene Mann mit dem
bereits menschlich gezeichneten Libellengesicht wandte sich ihr zu. „Gehen
wir!”, sagte er in einem Tonfall, der deutlich machte, dass sie in diesem
Moment auf den entscheidenden Teil ihrer Reise zuschritten.
Sie benötigten nur wenige Minuten, um die Anhöhe hinter sich zu
lassen und blieben in respektvollem Abstand vor Hiawatha stehen. Das
verschaffte Saha die Gelegenheit, den Schamanen näher zu betrachten. Er war
unbestimmbaren Alters, mit einer wettergegerbten Haut, die sich in seinem
Gesicht und auf seinen Händen runzelte. Sein langes schwarzes Haar, durch
unzählige Silberlebensfäden veredelt, trug er zu einem losen Zopf gebunden. Der
magere Körper steckte in haselnussbraunen Lederhosen mit Fransen und einem
farblich darauf abgestimmten Hemd.
Hiawatha erhob sich mit elastischer Anmut.
Ein erstauntes Keuchen entfuhr Uhura. Saha warf der Eule einen
raschen Blick zu. Die bemerkte ihn jedoch nicht. Sie trippelte voran, hüpfte
Hiawatha entgegen und sah ihn mit ihren großen, runden Augen an.
„Da bist du ja, teure Freundin”, begrüßte der Schamane sie.
Saha schüttelte ungläubig den Kopf. Es war, als stünden sich zwei
alte Freunde, die lange voneinander getrennt gewesen waren, gegenüber. Zum
wiederholten Male fragte sie sich, was Uhura ihr alles verschwiegen hatte.
„Es freut mich, dich zu sehen”, fuhr Hiawatha ruhig fort. In
seiner Stimme schwang alte Weisheit. Der Blick seiner dunklen Augen strahlte
eine solche Ruhe aus, die alle Stürme der Welt zum Verstummen bringen konnte.
Saha hätte in diesen Augen versinken können, denn Hiawathas Blick hatte sich
mittlerweile auf sie gerichtet. Hypnotisch sog er sich an ihr fest. Bis tief in
ihre Seele. Saha erschauerte. Sie wusste nicht zu ergründen, ob es sich um die
Augen eines Lebenden oder Toten handelte. Und sie fragte sich mit banger Sorge,
was er in ihr sah.
„Ist sie das?”, fragte Hiawatha in Uhuras Richtung, ohne den
Blick von Saha zu nehmen.
Die Eule nickte. „Ja, das ist die Sich-Wandelnde-Frau.”
Hiawatha drehte sich herum. „Gut. Bitte setzt euch ans Feuer”,
forderte er die Freunde auf.
Seine Stimme klang sehr zufrieden.
Sie ließen sich alle im Schneidersitz nieder. In einem exakten
Kreis rund um die Feuerstelle. Der Himmel rötete sich im Schein der brennenden
Flammen, die züngelnd emporstiegen. Hiawatha saß ihnen eine Weile stumm
gegenüber. Dann begann er zu erzählen. Von den beiden Völkern, die sich
gegenseitig bekämpft hatten. Das weiße hatte beinahe den Untergang des roten
Volkes zu verantworten gehabt, hatte ihm aber dessen Spiritualität nicht nehmen
können. Jene Spiritualität, welche die beiden Völker im Grunde verbinden
sollte. Hiawathas Stimme erhielt einen merkwürdigen Klang. Sie wisperte,
flüsterte und beschwor. Erzählte von Reden, Gesängen und längst überholten
Geschichten. Und erstmals verriet diese fesselnde Stimme den Namen, den das
weiße Volk dem roten Volk gegeben hatte: INDIANER.
An Hiawathas Seite lebte Winterdonner, sein Sohn, ein finster
dreinblickender, gutgewachsener Mann, der wann immer er Barb ansah, ein
unruhiges Funkeln in seinen Augen trug. Da schwang etwas zwischen ihnen, das
Maiitsoh eifersüchtig beobachtete. Winterdonner war es auch, der die Freunde
begleitete, als sie den Wunsch äußerten, das Verlorene Tal zu erkunden. Die
Ewigen Jagdgründe, das Totenreich des roten Volkes, zu erforschen. Sie wussten
zwar, dass alles, was sie sehen würden, nicht real war. Aber es gab ihnen
endlich Aufschluss über die Vergangenheit.
So hofften sie zumindest.
Sie brachen im Morgengrauen auf. Jabani begleitete sie nicht. Sie
hatte sich in eine dunkle, feuchte Höhle zurückgezogen. Sich einen Schlafplatz
an der Decke gesucht, zweimal zufrieden geseufzt und die Augen geschlossen. Als
ihre Freunde die Höhle verließen, war sie bereits
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