Regency Reality-Show
dieser Hausparty zu verehelichen.“
„Wie bitte? Ich soll heiraten?“ Endlich hatte ich meine Stimme wiedergefunden.
„Natürlich, eine andere Wahl bleibt Dir nicht.“ entgegnete Mutter mit einem deutungsvollen Blick zurück zur Tür, wo sich inzwischen zahlreiche Schaulustige eingefunden hatten.
Mein panischer Blick schweifte erst über die Schaulustigen, dann über meine Eltern und Anna, die im Hintergrund stand und blieb schliesslich an meinem zukünftigen Bräutigam hängen. Wenn ich mich vorher wie ein Reh vor einem Auto gefühlt hatte, so musste es nun ein ganzer Lastwagenpark sein. Nie im Leben konnte ich Robert auf dieser Hausparty heiraten. Das würde bedeuten, dass wir den Grossteil unserer Zeit hier gemeinsam verbringen müssten. Schon jetzt hatte ich meine Gefühle für diesen Mann nicht mehr im Griff, wenn ich nun die nächsten paar Wochen auf engstem Raum mit ihm verbrachte, wie konnte mein Herz es dann überleben, wenn ich ihn danach nie wiedersah?
„Nein!“ schrie ich und floh mit einem Gedanken nur: Flora. Es wäre mir bestimmt gelungen, trotz meines unorthodoxen Aufzugs in den Stall zu laufen, hätten mich die Massen vor meiner Zimmertüre nicht so lange aufgehalten, bis Robert mich eingeholt und an der Hand gepackt hatte.
„Es ist die einzige Lösung.“ Flüsterte Robert, nur für meine Ohren bestimmt. Sah ich ein Anflug von Traurigkeit in seinen Augen? War er traurig, dass er sich nun an mich hängen musste, war sein männlicher Stolz verletzt, weil ich davon gerannt anstatt in seine Arme gelaufen war oder empfand er tatsächlich etwas für mich? Nein, so durfte ich nicht denken. Das hier war sein Job, er musste genau wie ich eine gute Show abliefern, nur dass es bei mir keine Show war.
Ich sah geschlagen zu Boden und liess mich zurück ins Zimmer ziehen. Anna scheuchte die Schaulustigen soweit zurück, dass sie hinter uns die Türe schliessen konnte.
„Die Hochzeit muss noch diese Woche stattfinden. Sehen Sie zu, dass Sie eine Speziallizenz erhalten. Es wird auch so schon genügend Gerede geben.“ Nun schien mein Vater völlig in seinem Element. Ich erkannte ihn kaum wieder – den knurrigen Teddybären, der normalerweise still im Schatten meiner dominanten Mutter stand und die Tage am liebsten schlafend oder essend verbrachte.
„Ich breche sofort auf, bereiten Sie alles für morgen Nachmittag vor. Nebst der Speziallizenz werde ich einen Pastoren mitbringen, der die Trauung vornimmt.“
„Denken Sie nicht, dass Sie bis morgen warten sollten, damit wir heute Abend die Verlobung bekannt geben können.“
„Denken Sie, werter Herr Graf, dass nach unserem Schauspiel, das wir vor offener Türe soeben gegeben haben, noch irgendjemand hier über unsere anstehende Hochzeit im Unklaren ist?“ Roberts Worte trafen mich tief ins Herz. Sein Heiratsantrag eben war also bloss ein Schauspiel gewesen. Blöd von mir, mehr zu erwarten. Es war ja tatsächlich alles nur Schein.
Völlig erschöpft setzte ich mich aufs Bett und blendete alles um mich herum aus, bis ich schliesslich alleine in meinem Zimmer zurückblieb. Da erinnerte ich mich an Roberts Zettel, den ich immer noch in der Hand hielt. Mit steifen Fingern faltete ich ihn auseinander und las: Gertrud ist eine Profireiterin. Lassen Sie sie ihr Können zeigen. Fordern Sie sie auf, über besonders schwierige Hindernisse zu springen.
Was bedeutete das? Offensichtlich war dies eine Regieanweisung. Aber wie konnten die Verantwortlichen vom Sender eine solch ungeheure Lüge verbreiten? Ich war bei weitem keine Profireiterin. Niemand konnte auch nur ahnen, dass ich tatsächlich des Öfteren mit Flora über Hindernisse sprang. Was wollten die Regisseure damit bezwecken? Sollte ich vom Pferd fallen? Hatten ihnen meine Unfälle vom Vortag so gut gefallen, dass sie nun weitere provozieren wollten? Aber ein Sturz vom Pferd konnte böse ausgehen, ich hätte mich verletzen oder mir gar das Genick brechen könnten. Waren dem Sender alle Mittel recht, um hohe Einschaltquoten zu erhalten? Als mir erst richtig klar wurde, dass sie damit auch Flora in Gefahr gebracht hatten – mit Absicht, offenbar – kochte ich vor Wut. Ich warf mir den Morgenrock über und stapfte los. Doch wo war Donalds Zimmer? Unschlüssig stand ich im Gang. Schliesslich machte ich mich zu Roberts Raum auf. Der konnte mir bestimmt weiterhelfen und einige Fragen beantworten.
Auf mein mehrmaliges Klopfen erhielt ich keine Antwort. Ich drückte die Türklinke herunter und ging
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