Regency Reality-Show
elfengleich auf ihren am Altar stehenden Bräutigam zuschreiten könnte, der – wenn er sie erblickte – sich sogleich unterblich in sie verliebte und dann– Ich machte mir etwas vor. Robert war Schauspieler und machte bloss seinen Job. Das Happy End würde bei uns knappe zwei Monate andauern.
Die beiden Frauen liessen mich nicht lange im Selbstmitleid versinken. Ihre aufgeregte Stimmung schwappte schliesslich auch auf mich über. Fertig angekleidet und frisiert betrachtete ich mich vor dem bodenlagen Spiegel, der mir Lizzi extra hatte bringen lassen. Wer war diese Schönheit, die mir entgegenblickte? Ich erkannte mich kaum wieder. Das Kleid war einfach und kunstvoll zugleich. Der viereckige Ausschnitt und die kleinen Puffärmel waren von schimmernden Edelsteinen umrahmt. Unter meinem grösser wirkenden Busen verlief eine weisse Satinschleife, deren Enden bis zu meinen Knien reichten. Der Rock liess mir gewisse Beinfreiheit, war aber eigentlich recht enganliegend gerade geschnitten. Hinten war er etwas länger, was wie eine edle Schleppe aussah.
„Hinten haben wir die Originallänge des Kleides beibehalten.“ kommentierte Anna nicht ohne Stolz als sie meinem Blick folgte.
Das Kleid war himmlisch. Es liess mich unschuldig kindlich und gleichzeitig kurvig weiblich erscheinen. Unterstrichen wurde dies durch die lockere Hochsteckfrisur, aus der vereinzelte Locken in Kringeln herunterhingen. Gänseblümchen waren wie ein Krönchen in meine dunkle Haarpracht geflochten. Nie hatte ich eine schönere Braut gesehen.
Eine Träne kullerte mir die Wange runter. Hätte mich meine leibliche Mutter doch so sehen können, mich mein leiblicher Vater zum Altar begleiten können und wäre Robert doch mein richtiger Bräutigam.
„Zum Glück haben wir Dich nicht geschminkt, sonst würde jetzt alles verlaufen. Aber weinen solltest Du trotzdem nicht, sonst hast Du bei der Hochzeit verquollene Augen.“ Ich wusste, dass Mutter recht hatte. Aber die Gefühle schienen so stark in mir zu toben, als ob es meine echte Hochzeit sei.
„Sind die Damen angezogen? Kann ich reinkommen?“ ertönte von draussen Vaters Stimme.
„Komm rein Papa – ich bin bereit.“
„Nicht schlecht“, bestaunte mich dieser und führte mich mit stolzer Miene in den Ballsaal.
***
Alle schienen hier versammelt zu sein, nicht bloss die Edlen, auch die Bediensteten schienen sich hier zu tummeln und meiner Hochzeit beiwohnen zu wollen. Wo wohl so viele Stühle hergekommen waren? Alle auf einem Haufen zu sehen, führte mir vor Augen, eine wie grosse Produktion diese Show war. Ich fühlte mich angesichts der Übermacht des Senders klein und unbedeutend. So mussten sie mich auch sehen, wenn ihnen mein Menschenleben nichts wert war. – Solch trübe Gedanken verflogen jedoch in dem Moment, als ich Robert vor der versammelten Gesellschaft stehen sah.
Lord Milford war offenbar sein Trauzeuge und stand neben ihm. Ich jedoch hatte nur Augen für meinen Bräutigam. Er trug sein Haar zurückgekämmt. Einige der wirren Locken hatten sich schon gelöst und hingen ihm in die Stirn. Seine Kleider waren dunkel, mehr konnte ich nicht erkennen, denn ich konnte meinen Blick nicht von seinem Gesicht abwenden.
Was er wohl dachte? Sein Gesicht war wunderschön, sein Blick durchbohrend, gleichzeitig aber für mich nicht zu deuten. Ich fühlte mich nackt vor ihm, als ob er mich mit einem Röntgenblick durchbohrte. In diesem Augenblick wollte ich nichts vor ihm verbergen, wollte ihm alles geben, wollte alles sein, was er sich wünschte. Nur die starke Hand von meinem Vater hielt mich aufrecht. Meine Knochen schienen zu Wackelpudding mutiert. Gleich würde ich in Ohnmacht fallen.
Dann waren wir da. Vater überreichte meine Hand meinem zukünftigen Angetrauten. Diesen Moment hatte ich gleichermassen gefürchtet wie herbeigesehnt. Aber der elektrische Schlag, den ich erwartet hatte, blieb aus. Stattdessen durchströmte mich eine Welle der Geborgenheit und Wärme, die ein seliges Lächeln auf meine Lippen zauberte. Alles um mich war vergessen, das Einzige, was zählte waren wir beide. Es fühlte sich an, als ob wir in einer Blase nur für uns zwei geborgen wären.
„Werte Gemeinde, wir sind hier heute versammelt…“
Als der Pastor mit seiner Rede anfing, wachte ich aus meinem schönen Tagtraum auf. Mein verwirrter Gesichtsausdruck schien Robert zu amüsieren. Schliesslich löste ich meinen Blick von seinem Gesicht und sah zum Redner hinüber. Er war ein alter Mann.
Weitere Kostenlose Bücher