Regina schafft es doch
die kleine halbfertige Figur loszulassen. „Ach, Morgen, Sewald! Was haben Sie denn da Interessantes?“ Sewald von der Brennerei lächelte geheimnisvoll. Er hielt etwas auf dem Rücken verborgen. Er ging zu dem Tisch unter dem Fenster, wo das beste Licht war. Und dort stellte er etwas hin. „Ja, nun können Sie sich Ihre Miez mal ansehen. Wie gefällt sie Ihnen?“
„Ach, Sewald! Wie hübsch!“
„Nicht wahr? Wir in der Brennerei sind gar nicht so ohne! Und Frau Turm hat sich ordentlich Mühe mit dem Bemalen gegeben. Wir haben aber auch auf den Ofen aufgepaßt, als wäre es der Bratofen von ‘nem Hofkoch – voller Wachteln, oder wie sie nun gleich heißen, diese feinen Vöglein. Na, sind Sie zufrieden?“
Regina lächelte.
Sie sah sich die Katze an allen Ecken und Kanten an. Eine aufrecht sitzende Siamkatze, kühl und unnahbar, selbstbewußt und wunderschön.
„Ja“, sagte sie langsam. „Die ist gut. Und die wäre nichts gewesen, wenn der Gießer und der Maler und der Brenner nicht eine fabelhafte Arbeit geleistet hätten.“
„Sehen Sie! Zusammenarbeit ist es, was nötig ist! Ja, dies war also das Probestück. Und das ist ja immerhin so ausgefallen, daß wir anfangen können…“
„… mit Massenproduktion?“
„Na, von Masse wird wohl kaum die Rede sein. Das Katzenvieh von Ihnen wird ja teuer, wir werden also nicht allzu viele Exemplare losschlagen können. Aber Hamburg nimmt einige, Bremen und Hannover auch. Und vielleicht können wir um Weihnachten herum an die Touristen einen Teil absetzen. Morgen brennen wir übrigens die Weihnachtsleuchter. Sind Sie nicht gespannt?“
Regina lächelte.
„Ooch – so sehr nicht. Ich war mehr auf die Katze gespannt.“
„Jaja, gewiß. Die Leuchter sind Dutzendware und die Katze ist Kunst, nicht wahr?“
„Wenn Sie es sagen…“
„Sehen Sie, wenn aber die Weihnachtsleuchter uns nicht das Geld einbrächten, dann könnten wir es uns nicht leisten, Kunst herzustellen!“
„Mir fängt allmählich was zu dämmern an.“
„Das ist schön. Her mit der Katze, ich möchte sie dem Chef zeigen, aber ich fand, Sie hätten einen Anspruch drauf, sie als erste zu sehen!“
„Das war sehr nett von Ihnen, Sewald.“
Regina blieb sitzen und lächelte vor sich hin.
Katrin hatte recht behalten. Es war für sie gut gewesen, von zu Hause wegzukommen. Gut, in neuer Umgebung zu sein. Sie fühlte sich in Jyttes kleiner Puppenwohnung wohl und sie fühlte sich auch in der Fabrik wohl. Alle waren freundlich, diese rhythmische Geschäftstätigkeit gefiel ihr, die feste Arbeitszeit und die Zusammenarbeit, in der alle voneinander abhängig waren. Sie dachte an die verschiedenen Spezialarbeiter, die in Bewegung gesetzt werden mußten, bis die Katze fertiggestellt war. Zuerst sie selbst mit der Zeichnung und der Plastik. Dann der Gießer. Dann das junge Mädchen, das die Unterglasur auflegte. Dann der erste Brand. Dann kam Frau Turm mit ihren feinsten Pastellfarben und ihrer leichten, geübten Hand – sie hatte seit dreißig Jahren Porzellan bemalt. Und zu guter Letzt noch mal ein Brand.
Zum ersten Male in ihrem Leben hatte Regina die Zusammenarbeit kennengelernt.
Sie neigte sich wieder über ihre Miniatur. Ein kleines Eichhörnchen, das auf dem Rand eines Aschenbechers sitzen sollte. Die Leute müssen sehr tierliebend sein, dachte Regina. Denn die Tierfiguren gingen ohne Frage am besten.
Sie war jetzt seit vierzehn Tagen in der Fabrik beschäftigt und freute sich bei dem Gedanken, bis November bleiben zu dürfen – ja, vielleicht sogar bis Weihnachten. Sie hatte sich Katrins Warnungen zu Herzen genommen, daß sie „gut zu dem Menschen Regina sein müsse und nicht nur zu dem Künstler“. Sie zwang sich, regelmäßig zu essen und genug zu ruhen. Das regelmäßige Essen ergab sich von selbst, denn die helle, große Kantine der Fabrik, in der viele Menschen zusammen aßen, wirkte unmittelbar anregend. Man konnte sein mitgebrachtes Butterbrot essen oder für einen mäßigen Preis ein warmes Gericht bekommen. Regina ließ sich immer das warme Essen geben, so brauchte sie sich nichts zu kochen, wenn sie nachmittags müde nach Hause kam.
Ach, diese wunderbare Müdigkeit! Und das herrlich regelmäßige Leben! Es war die allerbeste Medizin für ihre arme, zerquälte Seele.
Es war nicht zu leugnen, der erste wilde Schmerz hatte sich ein wenig gelegt, er war nach wie vor da, er lebte Tag und Nacht in ihr, aber dennoch: er war ein klein wenig in ihrem Bewußtsein
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