Reich und tot
Haus über. Es war bescheidener als Mortimers Anwesen in Crowby, verglichen mit Kerrs Haus jedoch ein Palast. Barbara Russell, die acht Jahre lang Barbara Mortimer gewesen war, goss gerade die prächtig blühenden rosafarbenen Hortensien. Mit verhaltenem Blick sah sie zu Kerr herüber, als der aus dem Auto stieg.
Sie unterhielten sich in der klimatisierten Küche, tranken Earl Grey aus feinen Porzellantassen, und irgendwo im Hintergrund sang Brian Eno. Musik für Flughäfen. Sie kannte den Großteil der Geschichte aus der Zeitung und wusste sogar schon, dass Mortimer tot war. Bedachte man, dass das »Riverside Hotel«, die »Travel Lodge« und sogar einige Bed-and-Breakfast-Unterkünfte in Crowby vollmit Journalisten der überregionalen Medien waren, schien es nicht ganz so überraschend, dass es Mortimers Tod in die Mittagsnachrichten von Radio Four geschafft hatte – ein seltener Ritterschlag für ein männliches Mordopfer aus der Provinz.
»Ich kann nicht sagen, dass es mich wirklich trifft, Sergeant«, sagte sie. »Obwohl, vielleicht tut
sie
mir etwas leid. Vielleicht.«
Vor ihrer Ehe hatte sie als Messeorganisatorin gearbeitet, erzählte sie, und nach der Scheidung wieder damit angefangen. Gus Mortimer hatte sie auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin kennengelernt. Insgesamt waren sie zwölf Jahre zusammen gewesen, wobei sie es von Beginn an hätte besser wissen sollen. Sie selbst hatte ihn einer anderen Frau weggenommen. Erst hatte sie gedacht, Jenny sei nur eine weitere Eroberung, eine Randerscheinung, die sie ignorieren könne.
»Aber dann stand
ich
plötzlich auf der Straße. Überflüssig. Ausgedient.«
Kerr fragte sie nach der Scheidung.
»Am Ende war er großzügig. Das Haus in Crowby war zu der Zeit erst halb fertig. Das hat er behalten und mir das hier überschrieben.«
»War er Ihnen gegenüber je gewalttätig?«
Sie nippte an ihrem Tee, bevor sie antwortete.
»Nein. Aber ein paarmal war er wohl kurz davor gewesen. Besonders, als
sie
da war und er mich als Hindernis betrachtete. Ich glaube, das ist etwas, was er immer in sich hatte. Aber bei mir hätte er sich das nicht getraut. Mein Bruder ist auf Familienrecht spezialisiert, seine Kanzlei ist eine der besten im Land. Wir hätten ihm auch noch den letzten Penny genommen, wenn er Hand an mich gelegt hätte.«
»Sind Sie da sicher, Barbara?«
Sie hielt die Tasse vor sich in der Luft. Ihr Haar war rotbraun, und sie war etwas größer und älter als Jenny Mortimer, aber alles in allem unterschied sie sich nicht allzu sehr von ihr. Kerr fragte sich, warum Gus Mortimer die eine wegen der anderen überhaupt hinausgeworfen und quasi die gleiche Frau noch einmal geheiratet hatte.
»Absolut sicher«, sagte sie. »Ganz und gar.«
Kerr spielte mit der Idee, sich auch noch Centro Tech anzusehen. Die Firma lag etwa fünfzehn Meilen nordwestlich in einem gottverlassenen Industriegebiet an der A34. Aber als er hätte abbiegen müssen, nahm er die Brücke bei Abfahrt vier, fuhr in den Kreisverkehr und zurück auf die Autobahn Richtung Crowby. Er sagte sich, dass er zu wenig Zeit und zu viele andere Dinge zu erledigen hatte, aber der Impuls wollte ihn nicht loslassen und quälte ihn die ganze Fahrt über. Es war der gleiche Drang, der ihn am Samstagmorgen dazu gebracht hatte, sich über Jenny Mortimers Leiche zu beugen. Manchmal musste man etwas mit eigenen Augen sehen, um es zu begreifen. Barbara Russell hatte behauptet, absolut nichts über Centro Techs Nebenerwerb durch illegalen Handel mit Folterwerkzeugen gewusst zu haben, bis die Medien die Sache aufdeckten. Sie sagte, Gus habe ihres Wissens nie eines dieser Instrumente mit nach Hause gebracht. Was natürlich auch bedeuten konnte, dass er sehr wohl welche mitgebracht hatte, die sie nur nicht hatte sehen
wollen.
Ganz sicher war die Trennung bitter für sie gewesen. War es immer noch. Aber sie hatte nicht haltlos gewirkt, nicht so, als könnte sie fünf Jahre später auf so brutale und hinterhältige Art und Weise Rache geübt haben. Abgesehen davon hatte sie ein leicht überprüfbares Alibi für die Tatzeit: Sie war gerade erst von derWorld Plastics Convention in Miami zurückgekommen und hatte Kerr Unterlagen und Bordkarten gezeigt. Gegen Mitternacht war sie mit dem Taxi vom Flughafen Birmingham International nach Hause gekommen und wusste sogar noch den Namen des Taxiunternehmens.
Wieder im Auto, versuchte er es noch einmal mit John Lee Hooker, aber diesmal war ihm der Blues zu
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