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Reich und tot

Reich und tot

Titel: Reich und tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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frohsinnig. Er war nicht in der Stimmung und hätte Robert Johnson vorgezogen, den anderen, den Engel oder Dämonen der Finsternis mit der grüblerischen Gitarre. Er hatte aber nichts von ihm dabei, und so lauschte er einfach nur dem Geräusch des Motors. Nach allem, was er wusste, war Centro Tech unter dem neuen Management auf den Pfad der Tugend zurückgekehrt und lebte heute vom Zusammenbau und Vertrieb elektronischer Spielzeuge aus Japan. Er fragte sich, ob es die Mitarbeiter interessierte,
was
sie da zusammenbauten und
wozu
es verwandt wurde. Vermutlich war es ihnen egal, solange sie regelmäßig bezahlt wurden. Sein Dad hatte sein Leben damit verbracht beziehungsweise verschwendet, einem anderen Ideal zu folgen und Klassensolidarität zu predigen. Kerr und seine Schwester waren früh in die obskure Sprache des Internationalismus getaucht worden, in die Terminologie des proletarischen Kampfes.
Arbeiter dieser Welt, vereinigt Euch!
Aber sie taten es nicht. Nicht wirklich. Oder wenigstens nicht genug. Auf der Straßenkarte hatte es so ausgesehen, als läge Centro Tech kaum einen Steinwurf von Hiatts entfernt. Die waren rechtlich auch sauber, waren es immer gewesen, und versorgten Polizeikräfte rund um die Welt – die echten, rechtmäßigen – mit Handschellen. Im achtzehnten Jahrhundert jedoch hatte Hiatts seinen großen wirtschaftlichen Durchbruch mit Halseisen für den Sklavenhandel geschafft undnoch bis in die 1980er Fußeisen und -ketten produziert. Sein Dad war einmal vor den Werkstoren festgenommen worden, als er versucht hatte, dort Flugblätter zu verteilen. Kerr musste lächeln. Seine Mutter, ganz die Pragmatikerin, war ziemlich explodiert, als ihr Mann endlich nach Hause kam, Stunden, nachdem sie das verkochte Abendessen weggeworfen hatte.
Flugblätter!,
hatte sie geschimpft.
Da wird die Wall Street aber zittern!
    So weit sein Blick reichte, waren die linke und die mittlere Fahrspur voller Lastwagen. Er setzte den Blinker und scherte auf die Überholspur aus. Aber wenn Flugblätter nichts nützten, wenn die Arbeiter nicht mitmachen wollten und die konventionelle Politik keine Fortschritte erzielte, war es am Ende immer zu anderen – verzweifelten – Maßnahmen gekommen. An Leuten, die bereit waren, sie zu ergreifen, herrschte kein Mangel. Mach mit oder halt’s Maul.
Wir sind im Krieg. Zieh deine eigenen Schlüsse.
     
    Der Zug nach Manchester fuhr erst Viertel vor elf in Crowby ein und verließ den Bahnhof nicht vor Viertel nach. Robert Johnson saß am Fenster, gegenüber von DC Dennett. Aston saß neben ihm und blockierte den Weg zum Gang, und kaum waren sie ein paar Meilen Richtung Norden vorangekommen, blieb der Zug auch schon wieder stehen. Es gebe ein Problem mit einer Überhitzung der Gleise, kam die Nachricht durch den Lautsprecher. Da waren sie wohl ausgerechnet auf der Strecke gelandet, auf die im Herbst auch gerne eine problematische Sorte Laub und später im Winter eine problematische Sorte Schnee fiel, dachte Aston. Er hasste Züge, verdammt noch mal. Immer verspätet, immer zu voll, und sicher waren sie auch nicht mehr. Verkehrsstauswaren auch nicht gerade ein Vergnügen, aber wenigstens saß man da in seinem eigenen Auto, konnte Radio oder Musik hören, sich die Eier kratzen, es gab keine tropfnasigen Kinder und keine jammernden Geschäftsmänner, und nur dein eigenes Handy klingelte. Er nahm den Deckel von seinem zu heißen Kaffee und leerte das kleine Tütchen Zucker in die Flüssigkeit. Dennett hatte einen Tee gewollt, Johnson nichts. Der Imbisskarren war bereits ein Stück weiter den Gang hinunter, und der drangsalierte Steward beteuerte wieder und wieder, dass er nichts mit der Verspätung zu tun habe, sie aber natürlich bedauere. Aus tiefster Seele.
    Johnson sah zu, wie die beiden an ihren Getränken nippten und Zeitung lasen. Sie taten immer noch so, als wären sie keine Bullen und er nicht ihr Gefangener. Manchester, dachte er. Was sollte er da machen? Welchem Ziel sollte er folgen? Es hatte in Crowby angefangen, und deshalb musste es da auch enden. Bisher hatte er erst acht geschafft. Eine pro Monat, immer am dreizehnten. Das war eine hübsche Verfeinerung gewesen, eine kleine Zutat. Allerdings war es ein Detail, das er womöglich aufgeben musste. Solange das Schwert scharf war, kam es auf die Juwelen am Griff nicht an. Eine erfolgreiche Strategie gründete auf Wandel, einem Überraschungsmoment. Er musste sich am Jetzt orientieren, dem Fluss des Unerwarteten folgen.

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