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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Operngesellschaft, die Leseräume und Vortragssäle. Sogar die fünf Kinos schlossen leise ihre Pforten. Heute findet man die lebendigste Zerstreuung in einer Noble’s Spielhalle, an der ich nun auf dem Weg zum Co-op-Gebäude vorbeikam. Es war nicht schwer zu finden, dahinter befand sich ein großer, ungeteerter Parkplatz, den ein paar niedrige Gebäude umstanden – eine Baustoffhandlung, eine Pfadfinderhütte, eine Sozialamtsbaracke und das leuchtend chromgrün gestrichene Holzhaus des Veterans’ Institute. Aus William Feavers Buch wußte ich, daß die Baracke der Ashington Group neben dem Veterans’s Institute gewesen war, aber nicht, auf welcher Seite, und jetzt konnte man es nicht mehr erkennen.
    Die Gruppe war eine der letzten lokalen Institutionen, die verschwand, obwohl sich ihre Auflösung langsam und schmerzhaft vollzog. Während der gesamten fünfziger Jahre sank die Mitgliederzahl unerbittlich. Die Älteren starben weg, und die jungen Leute fanden es lächerlich, sich in Schlips und Anzug zu werfen und mit Farbkästen herumzumachen. Die letzten Jahre erschienen montags abends regelmäßig nur noch zwei alte Mitglieder, Oliver Kilbourn und Jack Harrison. Im Sommer 1982 wurde ihnen mitgeteilt, daß die Miete von 50 Pence im Jahr auf 14 Pfund steigen würde. »Das«, bemerkt Feaver, »plus den 7 Pfund, die vierteljährlich für Strom anfielen, war zu viel.« Im Oktober 1983 löste sich die Ashington Group kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag auf, weil ihr 42 Pfund fehlten. Die Baracke wurde abgerissen.
    Jetzt kann man sich dort nur noch den Parkplatz anschauen, aber die Bilder werden treu und brav im Woodhorn Colliery Museum aufgehoben, das etwa eine Meile weiter in der Woodhorn Road liegt. Dort lief ich nun an endlosen Reihen früherer Bergarbeiterhäuschen entlang. Die alte Zeche sieht immer noch wie eine Zeche aus, die Backsteingebäude sind noch intakt. Das Förderrad hing in der Luft wie ein seltsames, einsames Kirmeskarussell. Verrostete Schienen durchziehen das Gelände. Aber alles ist ruhig und still, und die Rangierhöfe sind in ordentliche grüne Rasenflächen verwandelt worden. Ich war einer der wenigen Besucher.
    Das Woodhorn Colliery schloß im Jahre 1981, sieben Jahre vor seinem einhundertsten Geburtstag. Früher war es einmal eines von 200 Kohlebergwerken in Northumberland, eines von mehr als 3000 im ganzen Land. In den Zwanzigern, als die Kohleindustrie boomte, arbeiteten 1,2 Millionen Männer in britischen Kohlegruben. Zur Zeit meines Besuches waren noch sechzehn Zechen in Betrieb, und die Zahl der Beschäftigten war um 98 Prozent zurückgegangen.
    Traurig findet man das aber nur so lange, bis man das Museum betritt und die Fotos und Unfallstatistiken einen daran erinnern, wie hart und kräftezehrend die Arbeit war und wie zwangsläufig und systematisch sie Generationen von Armut hervorbrachte. Kein Wunder, daß so viele Fußballer von hier kommen; jahrezehntelang war »Soccer« der einzige Ausweg.
    Das Museum war gratis und voll geschickt ausgewählter, faszinierender Ausstellungsstücke, die das Leben unten in den Gruben und in dem lebendigen Dorf darüber veranschaulichten. Ich hatte doch gar keine konkrete Vorstellung davon, wie hart das Leben in den Gruben war. Bis weit in unser Jahrhundert hinein starben dort jährlich mehr als tausend Männer, und jede Zeche hatte zumindest eine legendäre Katastrophe. (Woodhorn 1916, als dreißig Männer bei einer Explosion starben, die sich wegen verbrecherisch lascher Sicherheitsvorkehrungen und  -kontrollen ereignete. Die Herren Bergwerksbesitzer wurden streng ermahnt, das dürfe nicht wieder vorkommen, wenn doch, würden sie nächstes Mal aber tüchtig ausgeschimpft.) Bis 1847 arbeiteten Kinder von vier Jahren – fassen Sie das? – bis zu zehn Stunden am Tag in den Gruben, und noch bis vor relativ kurzer Zeit wurden zehnjährige Jungen als Wettertürwärter beschäftigt. In totaler Dunkelheit waren sie auf engstem Raum gezwungen, nichts anderes zu tun, als jedesmal, wenn ein Kohlenhund vorbeikam, die Belüftungstüren zu öffnen und zu schließen. Eine Schicht dauerte von 3 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags sechs Tage die Woche. Und das war ein leichter Job.
    Weiß der Himmel, wie die Leute Zeit und Kraft fanden, sich zu Vorträgen und Konzerten und Malclubs zu schleppen, aber sie haben es getan! In einem hell erleuchteten Raum hingen dreißig oder vierzig Bilder von Mitgliedern der Ashington Group. Die Mittel der Gruppe waren so

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