Reif für die Insel
beschränkt, daß viele mit einfacher Wandfarbe malten, und zwar auf Papier, Pappe oder Holzfaserplatten. Kaum welche sind auf Leinwand. Es wäre grob fahrlässig, so zu tun, als habe die Gruppe einen angehenden Tintoretto oder wenigstens einen Hockney in ihren Reihen gehabt, aber die Bilder sind so interessant, weil sie das Leben in einer Bergarbeiterkommune über einen Zeitraum von fünfzig Jahren festhalten. Fast alle geben lokale Szenen wider – »Samstagabend im Club«, »Whippets« – oder das Leben untertage, und sie hier im Kontext eines Bergwerksmuseums zu sehen und eben nicht in einer Kunstgalerie in einer Metropole, erhöhte ihren Reiz beträchtlich. Zum zweiten Mal an diesem Tag war ich beeindruckt und entzückt.
Und nun raten Sie mal, was ich beim Hinausgehen auf einem Schild las, das die Besitzer der Bergwerke aufführte? Einer der Hauptnutznießer all dieser Mühen und Plagen war niemand anderes als unser alter Freund W. J. C. Scott-Bentinck, der fünfte Herzog von Portland, und nicht zum erstenmal fiel mir auf, was für eine bemerkenswerte kleine Welt Großbritannien doch ist.
Es ist schon toll – das Land schafft es, zugleich intim und klein und bis zum Bersten voll interessanter Ereignisse und Dinge zu sein. Das ringt mir immer wieder Bewunderung ab –, man wandert durch eine Stadt wie Oxford und kommt innerhalb kürzester Zeit am Haus von Christopher Wren vorbei, den Gebäuden, wo Halley seinen Kometen fand und der Chemiker Boyle sein erstes Gesetz, der Laufbahn, wo Roger Bannister zum erstenmal die Meile unter vier Minuten lief, der Wiese, über die Lewis Carroll promenierte; oder man steht auf dem Snow’s Hill in Windsor und sieht mit einem einzigen Blick Windsor Castle, die Sportplätze von Eton, den Friedhof, wo Thomas Gray seine berühmte Elegie schrieb, und die Stätte, an der die Lustigen Weiber von Windsor zum erstenmal aufgeführt wurden. Gibt es irgendwo auf der Erde auf so engem Raum eine Landschaft, die so vollgepackt ist mit den Ergebnissen jahrhundertelanger, nie erlahmender schöpferischer Leistung?
In glühendste Bewunderung versunken, kehrte ich nach Pegswood zurück und nahm einen Zug nach Newcastle, wo ich mir ein Hotel suchte und den Abend in einem Zustand heiterer Gelassenheit verbrachte. Ich ging bis ganz spät durch die menschenleeren Straßen, betrachtete die Statuen und Gebäude mit Liebe und Respekt und beendete den Tag mit einem kleinen Gedanken, den ich Ihnen nunmehr unterbreite:
Wie kann es angehen, daß in diesem herrlichen Land, in dem man auf Schritt und Tritt den Zeugnissen genialer Schöpferkraft und großen Unternehmergeistes begegnet, in dem alle Bereiche menschlicher Fähigkeiten erkundet, erprobt und nach allen Seiten erweitert worden sind, aus dem viele der größten Errungenschaften in Industrie,
Handel und Künsten stammen – wie ist es in einem solchen Land möglich, daß ich bei der Rückkehr in mein Hotel den Fernseher einschaltete und schon wieder Cagney und Lacey lief?
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Ich fuhr nach Edinburgh. Kann man an einem frischen, dunklen Novemberabend mit dem Zug in einer schöneren, faszinierenderen Stadt ankommen als in Edinburgh? Glücklich derjenige, der aus dem geschäftigen, unter-irdischen Inneren von Waverley Station auftaucht und sich im Herzen einer so herrlichen Stadt wiederfindet. Ich war seit Jahren nicht mehr dort gewesen und hatte vergessen, wie berauschend sie sein kann. Jedes Denkmal war mit goldenen Scheinwerfern angestrahlt – die Burg und die Zentrale der Bank of Scotland auf dem Hügel, das Balmoral Hotel und die Statue von Scott darunter –, was ihnen einen gewissen gespenstischen Adel verlieh. Die Stadt summte von den Aktivitäten zum Tagesausklang. Die Busse brummten durch die Princes Street, und Verkäufer und Büroangestellte eilten über die Bürgersteige, um rasch nach Hause zu Haggis und cock-a-leekie, der Hühnersuppe mit Lauch, zu kommen und ein bißchen auf dem Dudelsack zu dudeln, oder was auch immer die Schotten nach Sonnenuntergang tun.
Ich hatte im Caledonian Hotel ein Zimmer bestellt, ein tollkühnes, extravagantes Unterfangen, aber es ist ein grandioser Bau und eine Edinburgher Institution, und ich mußte einfach für zwei Nächte dazugehören. Der Weg dorthin führte mich über die Princes Street, an dem gotischen Weltraumschiff, vulgo Scott-Denkmal, vorbei, und versetzte mich erneut in gehobene Stimmung, als ich mich unter die eilenden Menschenmassen mischte und die Burg
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