Reif für die Insel
in Bowness eine Kaffeepause zu machen und hieß sie zu dem Hotel in der Nähe von Bassenthwaite fahren, wo Price uns Zimmer gebucht hatte. Dort ließen wir unser Gepäck, tranken etwas, erwarben in der Küche drei Lunchpakete, warfen uns in schicke Bergklamotten und machten uns zum Great Langdale auf. Na bitte, jetzt kamen wir der Sache doch schon näher.
Obwohl das Wetter wenig verheißungsvoll und es ja auch schon spät im Jahr war, drängten sich an den Parkplätzen und Straßenrändern im Tal die Autos. Überall wühlten Leute in Kofferräumen und holten ihre Ausrüstung heraus oder saßen in offenen Autotüren und zogen sich warme Socken und festes Schuhwerk an. Auch wir schnürten unsere Schuhe, schlossen uns einer wilden Armee Wanderer mit Rucksäcken und wollenen Kniestrümpfen an und begannen einen langen buckligen Berg namens Band zu erklimmen. Unser Ziel war der legendäre Gipfel des Bow Fell, mit 892 Metern die sechsthöchste Erhebung im Lake District. Vor uns bewegten sich Farbtupfer langsam und in gebührendem Abstand voneinander auf eine absurd weit entfernte Bergspitze zu, die in den Wolken verschwand. Wie immer war ich insgeheim erstaunt, daß so viele Leute von der Vorstellung besessen waren, es sei ein Spaß, sich an einem feuchten, schon winterlichen Samstagmorgen Ende Oktober einen Berghang hinaufzukämpfen.
Durch die grasbewachsenen, niedrigeren Hänge kletterten wir in immer kargeres Terrain, suchten uns über Fels und Geröll einen Weg, bis wir oben in den zottigen Wolkenfetzen anlangten, die über die Talsohle 300 Meter weiter unten trieben. Die Ausblicke waren sensationell – die gezackten Gipfel der Langdale Pikes erhoben sich gegenüber und umdrängten das enge und nun erfreulich weit entfernte Tal mit seinen winzigen, von Steinmauern eingefaßten Wiesen, und im Westen wogte ein Meer von braunen Bergmassiven, die in Nebel und niedrigen Wolken verschwanden.
Als wir weitermarschierten, wurde das Wetter erheblich schlechter. Eisstückchen wirbelten durch die Luft und schnitten uns in die Haut wie Rasierklingen. Und als wir uns Three Tarns näherten, wurde es wahrhaft bedrohlich. Dichter Nebel gesellte sich zu dem scharfen Eisregen, grimmige Windböen schlugen gegen den Berghang und reduzierten unsere Marschgeschwindigkeit auf ein Schneckentempo. Der Nebel begrenzte die Sicht auf ein paar Meter. Ein, zweimal gerieten wir vom Wege ab, was mich in Angst und Schrecken versetzte, weil ich eigentlich nicht hier oben sterben wollte – abgesehen von allem anderen, hatte ich noch 4700 Treuepunkte auf meiner Barclaycard, für die ich mir was aussuchen durfte. Da tauchte aus der Düsternis vor uns etwas auf, das beunruhigend wie ein orangefarbener Schneemensch aussah. Bei näherer Inspektion entpuppte es sich als ein Hightech-Wanderoutfit. Irgendwo drinnen steckte ein Mann.
»Bißchen frisch«, meinte das Bündel, leicht untertreibend.
John und David fragten ihn, ob er von weit herkomme.
»Nein, vom Blea Tarn.« Blea Tarn war zehn Meilen entfernt – über anstrengendes Gelände.
»Schlecht dort?« fragte John in der Diktion, die ich jetzt schon als die lakonische Sprache britischer Wanderer erkannte.
»Auf allen vieren«, sagte der Mann.
Sie nickten. Alles klar.
»Bald ist es hier auch so.«
Wieder nickten sie.
»Na, ich troll mich mal«, verkündete der Mann, als könne er nicht den ganzen Tag verquatschen, und stapfte ab in die weiße Suppe. Ich sah ihm hinterher, und als ich mich wieder umdrehte, weil ich zart zu bedenken geben wollte, ob wir nicht eventuell den Rückzug ins Tal antreten sollten, in eine warme Herberge mit heißem Essen und kaltem Bier, sah ich nur noch, wie Price und Partridge von den Nebeln zehn Meter vor mir verschluckt wurden.
»He, wartet auf mich!« krächzte ich und kraxelte hinter ihnen her.
Wir schafften es ohne weitere Vorkommnisse zur Spitze. Ich zählte dreiunddreißig Leute, die sich dort mit Sandwiches, Thermosflaschen und wild flatternden Karten an die vom Nebel weißen Felsbrocken drückten, und versuchte mir vorzustellen, wie ich das einem ausländischen Zuschauer erklären würde – drei Dutzend Engländer machen in einem Eissturm auf einem Berggipfel Picknick –, und stellte fest, daß es nicht zu erklären war. Wir trotteten zu einem Felsen, wo ein liebenswürdiges Paar seine Rucksäcke wegschob und auf ein Stück seines Picknickplatzes verzichtete, damit wir auch noch hinpaßten. Wir setzten uns, wühlten in dem schneidenden Wind in unseren
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