Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
Christi College und den sanften goldenen Glanz des Merton College. Wir befinden uns in einer architektonischen Schatzkammer, einem der dichtesten Ensembles historischer Gebäude in der Welt, und Merton Street bietet uns einen fraglos hinreißenden Blick auf Giebelhäuser, kunstvolle, schmiedeeiserne Tore und schöne Stadthäuser aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Einige Fassaden sind durch das gedankenlose Hinzufügen von Stromkabeln leicht verunstaltet (andere, intellektuell weniger abgelenkte Nationen würden sie im Haus verlegen), aber sei’s drum. Das übersehen wir mal. Doch was ist das für ein unübersehbarer Störenfried am Ende? Ein Umspannwerk? Eine halboffene Anstalt, von den Insassen entworfen? Nein, es ist das Pförtnerhäuschen des Merton College! Dieses Ungetüm haben sie der ansonsten weitgehend intakten Straße ohne jeden Sinn und Verstand mal kurz in den Sechzigern aufgepfropft.
    Nun kommen Sie mit mir denselben Weg zurück zur Kybald Street, einer vergessenen kleinen Seitenstraße, versteckt in einem Labyrinth pittoresker Gassen zwischen Merton und High Street. Am östlichen Ende mündet die Kybald Street auf einen Miniplatz, der förmlich nach einem kleinen Springbrunnen und vielleicht ein paar Bänken schreit. Was finden wir statt dessen? Das üble Durcheinander von Autos, die in zweiter, ja dritter Reihe parken. Nun weiter zum Oriel Square: Keinen Deut besser. Dann über die Cornmarket Street (schauen Sie nicht hin; grauenhaft!) bis zu dem skandalösen Betonschandfleck, den Verwaltungsgebäuden der University am Wellington Square. Nein, bleiben wir lieber nicht stehen, gehen wir zurück unter den niedrigen Decken des schrecklichen, schlecht beleuchteten, tristen Clarendon Shopping Centre hindurch und dann auf die Queen Street an dem gleichermaßen wenig reizvollen Westgate Shopping Centre und der Zentralbibliothek mit ihren trostlosen Fenstern vorbei und halten vor der überdimensionalen Eiterbeule an, welche sich als das Hauptverwaltungsgebäude des County Council von Oxfordshire entpuppt. Wir könnten weiter durch St. Ebbes laufen, an den scheußlichen Gerichtsgebäuden vorbei und über die lange, öde Oxpens Road mit ihren Autoreparaturklitschen und Parkplätzen sowie der Schlittschuhbahn in den kümmerlichen Grünanlagen und hinaus in die wuselig-verlotterte Park End Street, aber wir sollten doch wohl lieber hier am County Council Schluß machen und unsere müden Beine schonen.
    Nichts von alledem würde mich ja großartig stören, wenn nicht alle, aber auch alle, mit denen man in Oxford spricht, meinen, diese Stadt sei eine der schönsten der Welt, ja, gerade auch wegen der sorgfaltigen Erhaltung des Stadtbildes und allgemeinen Lebensqualität. Ich weiß natürlich, daß Oxford unbeschreiblich schöne Ecken hat. Christ Church Meadow, Radcliffe Square, die Höfe in den Colleges, Gatte Street und Turl Street, Queens Lane und ein großer Teil der High Street, der botanische Garten, Port Meadow, die University Parks, Clarendon House, der ganze Norden Oxfords – alles erste Sahne. Hier gibt’s die besten Buchläden der Welt, ein paar der prächtigsten Pubs und die wundervollsten Museen, die man in einer Stadt dieser Größe finden kann. Außerdem eine tolle Markthalle. Und das Sheldonian Theatre. Die Bodleian Library. Beide eine reine Augenweide. Wie so vieles zum Dahinschmelzen.
    Aber gleichzeitig ist so vieles so verhunzt worden. Wie ist das passiert? Die Frage meine ich ernst. Was für ein Anfall von Wahn hat die Stadtplaner, Architekten und Universitätsbehörden in den sechziger und siebziger Jahren ergriffen? Wußten Sie, daß einmal allen Ernstes vorgeschlagen wurde, Jericho, das Viertel mit den wunderschönen Handwerkerhäusern, abzureißen und eine Durchfahrtsstraße quer durch die Christ Church Meadow zu bauen? Die Idee war nicht nur dumm, sie war kriminell verrückt. Und dennoch wurde sie ansatzweise überall in der ganzen Stadt umgesetzt. Schauen Sie sich doch nur mal das Pförtnergebäude des Merton College an – nicht einmal der schlimmste Schandfleck Oxfords. Was mußten da für Unwahrscheinlichkeiten zusammenkommen, damit es erbaut wurde? Zuerst mußte es ein Architekt entwerfen. Er mußte durch eine Stadt mit einer 800 Jahre alten architektonischen Tradition wandern und gewissenhaft ein Gebäude konzipieren, das wie ein Toaster mit Fenstern aussieht. Dann mußte ein Komitee hoch wohlgelehrter Herren im Merton College seine himmelschreiende Gleichgültigkeit in

Weitere Kostenlose Bücher