Reif für die Insel
dann auch alle taten, und im Handumdrehen war der Devil’s Dyke völlig nutzlos, außer, daß die Bewohner der Flachmoore die Erfahrung machen konnten, wie man sich auf 18 Meter Höhe fühlt.
Trotzdem kann man über seinen grasbewachsenen Kamm angenehm und nett bummeln, und an diesem trostlosen Morgen hatte ich ihn ganz für mich. Erst als ich ungefähr in der Mitte war, sah ich andere Menschen, die meisten trainierten auf dem weiten Grün von Newmarket Heath ihre Hunde. In dem unirdischen Dunst sahen sie wie Gespenster aus. Der Damm verläuft genau durch die Anlagen der Rennbahn von Newmarket (was ich eher ulkig fand, wenn ich auch kein Fitzelbißchen sehen konnte) und dann weiter durch blühendes Pferdeland. Langsam lichtete sich der Nebel, und zwischen den skelettartigen Bäumen erspähte ich eine Reihe großer Gestüte. Alle hatten eine weiß eingezäunte Koppel, ein stattliches Haus und viele schmucke Stallgebäude mit Kuppeln und Wetterfahnen, was ihnen das Aussehen eines modernen Supermarkts verlieh. Es war zwar ein reines Vergnügen, über eine so gut sichtbare ebene Strecke zu wandern, aber auch ein wenig langweilig. Mehrere Stunden lang lief ich, ohne einer Menschenseele zu begegnen, und dann endete der Wall abrupt in einer Wiese vor Ditton Green. Und mich befiel ein beunruhigendes Gefühl, weil sich plötzlich alles so in Wohlgefallen auflöste. Es war erst kurz nach zwei, und ich war bei weitem noch nicht müde. Ich wußte, daß Ditton keinen Bahnhof hatte, aber ich hatte angenommen, ich könnte hier einen Bus nach Cambridge bekommen, und wahrhaftig entdeckte ich im Buswartehäuschen, daß dem so war – wenn ich zwei Tage wartete. Also trottete ich über eine vielbefahrene Straße vier Meilen nach Newmarket, schaute mich in aller Muße dort um und fuhr mit der Bahn zurück nach Cambridge.
Eine der Freuden, die einen bei einem langen Treck über Land, besonders außerhalb der Saison, aufrechterhält, ist die Aussicht, daß man schließlich ein Zimmer in einer schnuckeligen Unterkunft findet, vor loderndem Kamin das eine oder andere Gläschen und dann eine kräftige Mahlzeit zu sich nimmt, die man sich nach der sportlichen Betätigung des Tages und der frischen Luft ja auch sauer verdient hat. Aber ich kam in Cambridge an und fühlte mich frisch und völlig unausgelastet und zu nichts berechtigt. Noch schlimmer: Weil ich gedacht hatte, daß die Wanderung anstrengender war und ich spät eintreffen würde, hatte ich ein Zimmer im University Arms Hotel gebucht, eben in der Erwartung des entsprechenden lodernden Kamins, des kräftigen Mahls und der behaglichen Atmosphäre eines Senior Common Rooms.
Wie ich aber dann zu meiner stillen Bestürzung entdecken mußte, war das Hotel ein überteuertes neues Hochhaus, und mein düsteres Zimmer stand bedauerlicherweise in krassem Widerspruch zu der Beschreibung im Reiseführer.
Lustlos schaute ich mich in der Stadt um. Gut, ich weiß, Cambridge ist eine feine Stadt und eine wahre Fundgrube für Namen – Christ’s Pieces allein sucht seinesgleichen –, doch an dem Tag konnte ich mich nicht dafür begeistern. Der Hauptmarkt war ein schäbiges Chaos, das Zentrum wurde von einem entmutigenden Übermaß an Betonbauten dominiert, und am späten Nachmittag ertrank alles in einem kläglichen Nieseln. Zum Schluß stöberte ich in Secondhand-Buchläden herum. Ich suchte nichts Besonderes, stieß aber auf eine illustrierte Geschichte des Kaufhauses Selfridges. Ich nahm sie begierig vom Regal, weil ich hoffte, sie erklärte, warum Highcliffe Castle so zerfallen war, und enthielte eventuell sogar ein paar schlüpfrige Anekdötchen über Selfridge und die scharfen Dolly Sisters.
Leider, leider handelte es sich um eine keimfreie Fassung. Ich fand nur eine einzige flüchtige Erwähnung der Dollys, die implizierte, daß sie ein Paar heimatloser Unschuldsengel waren, um die sich Selfridge wie ein guter Onkel gekümmert hatte. Selfridges jäher Abfall vom Pfad der Tugend wurde kaum und Highcliffe Castle überhaupt nicht erwähnt. Da stellte ich das Buch wieder zurück. In dem sicheren Wissen, daß an diesem Tage alles, was ich tat, in Enttäuschung enden würde, trank ich dann bloß noch ein Bier in einem leeren Pub, aß ein mittelmäßiges Dinner in einem indischen Restaurant, machte einen einsamen Spaziergang im Regen und zog mich schließlich in mein Zimmer zurück, wo ich entdeckte, daß es nichts, aber auch gar nichts im Fernsehen gab, und daß ich meinen Spazierstock in
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