Rein Wie Der Tod
die Welt anders ist, als sie gestern war. Aber die Welt ist nicht anders. Die Leute sind dieselben. Vor zwanzig Jahren gab es keine Ortungsstationen, die sämtliche Handys registrierten, keine Mautstationen oder stationäre Radargeräte, die aufzeichnen, wohin die Leute gefahren sind. Wir hatten auch keine Überwachungskameras an jeder Ecke der Stadt, und trotzdem haben wir unsere Mörder eingebuchtet. Wir haben Polizeiarbeit gemacht. Wir haben unsere Ausbildung und unsere Erfahrung benutzt. Und jetzt sollen wir offenbar mit einer Lupe am Schreibtisch sitzen und wie ein verdammter Philatelist Listen durchgehen, auf denen steht, wer sich wann ins Internet eingeloggt oder wer wem um welche Uhrzeit eine SMS geschickt hat. Das ist nicht das, womit ich meinen Arbeitstag verbringen will. Das ist keine Polizeiarbeit. Polizeiarbeit heißt, mit Leuten reden, sie verhören, ihre Reaktionen deuten, feinste psychologische Mechanismen erkennen ...«
»Oder sich einfach nur eine ganze Nacht in einem Auto den Arsch platt sitzen, während der Hauptverdächtige es sich im Schlafzimmer gut gehen lässt«, unterbrach ihn Frølich leicht verärgert, weil Gunnarstranda ihn von der Arbeit abhielt. »Du brauchst nicht so eine Angst vor dem Fortschritt zu haben«, sagte er. »Ich bin sicher, dass die Veteranen damals genauso gemeckert haben, als man Fingerabdrücke in die Polizeiermittlungen einbezogen hat. Als sie anfingen, nach Hautresten unter den Fingernägeln von Vergewaltigungsopfern zu suchen, gab es genau das gleiche Gezeter. Und als dann die DNA-Analyse zum Beweismittel erklärt wurde und ...«
»Veteranen? Hältst du mich für alt?«
Frølich schloss die Augen, um sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. »Ich glaube nur, dass es nicht die Büroarbeit ist, die dir nicht gefällt. Du bist einfach allergisch gegen den Fortschritt. Neue Technologie bedeutet Fortbildung, und Fortbildung bedeutet, etwas in dir selbst zu verändern.«
Gunnarstranda verdrehte die Augen.
Frølich fuhr unbeirrt fort: »Was Rosalind M'Taya betrifft, weiß ich noch nicht einmal, ob überhaupt ein Verbrechen begangen wurde. Aber ich kann es nicht ausschließen. Wenn sie ermordet irgendwo liegt, muss ich herausfinden, wer ein Motiv hatte, sie umzubringen. Den gleichen Job haben sie vor Hundert Jahren auch schon gemacht. Der Unterschied ist nur, dass ich heute wahrscheinlich größere Chancen habe, zu beweisen, wer die Möglichkeit hatte, ihr etwas anzutun. Meine Intuition sagt mir, dass Andreas Langeland weiß, was mit Rosalind passiert ist. Also, er lügt mich an. Sieht mir verdammt noch mal direkt in die Pupille und sagt, dass er die Frau nicht gesehen hat. Aber die Kamera in Gardemoen kann beweisen, dass er lügt. Er arbeitet da, lädt Koffer ein und aus. Als er mit der Arbeit fertig war, hat er sie in der Ankunftshalle entdeckt. Er ist ihr bis runter zu den Bahngleisen gefolgt und hat sie dazu gebracht, umzukehren. Zwei Tage später saß sie zusammen mit seinem Bruder in einer Studentenkneipe in Blindern. Wie kommt es, dass sie an dem Abend, bevor sie verschwindet, ausgerechnet mit seinem Bruder redet? Die Antwort liegt auf der Hand. Der eine Bruder hat sie dem anderen vorgeführt. Meine Intuition sagt, auch Andreas Langeland hat Rosalind in der Studentenkneipe getroffen. Er wusste, dass sie neu im Land war und Leute kennenlernen wollte. Er hat das auf der Autofahrt erfahren. Am Freitag nimmt er Kontakt auf: Komm mit in die Kneipe. Triff Menschen in Norwegen, meinen Bruder und all unsere Freunde. Sie geht hin. An der Bar steht allerdings ein Mädchen, das bis über beide Ohren in Mattis Langeland verknallt ist. Er ist ein Charmeur. Er hat eine Narbe im Mundwinkel und bla bla bla. Das Mädchen an der Bar hat Andreas nicht gesehen, aber er war da, garantiert. Es muss so gewesen sein. Mattis hat nämlich nicht versucht, Rosalind aufzureißen. Sie war das Girl seines Bruders an dem Abend. Mattis geht, und die beiden bleiben. Ich bin sicher, Andreas hat versucht, sie anzubaggern. Trotzdem streitet er einfach ab, sie überhaupt gesehen zu haben.
Denk dir Folgendes: Dieses Mädchen nimmt zwei Tage lang an der Sommeruniversität teil. Dann geht sie in eine Kneipe und verschwindet. Einfach so!« Er schnippte mit den Fingern. »Keiner ihrer Mitstudierenden weiß, was passiert ist. Die Dozenten auch nicht. Da frage ich mich doch: Warum streitet Andreas Langeland ab, sie getroffen zu haben? Was soll das? Es liegen zwei Tage zwischen den Aufnahmen aus
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