Reinen Herzens
unwahrscheinlich. Ja, das wäre auch interessant … Sie seufzte. Lauter spannende Dinge, und sie musste sich mit diesem unappetitlichen Zeug befassen. Sie blätterte langsam weiter, überflog den Text eher. Riesenbärenklau – das Wort sprang ihr förmlich ins Gesicht. Ihre Mutter hatte in Deutschland in ihrem Garten jahrelang gegen diese Monsterpflanzen gekämpft, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Wie Larissa nun aus ihrem Reiseführer erfuhr, hatte sich der Kaukasische Riesenbärenklau, wie das Unkraut mit vollem Namen hieß, vom Garten des Schlosses Kynžvart aus über ganz Mittel- und Westeuropa ausgebreitet. Es war ein echtes Danaer-Geschenk gewesen: Zar Alexander I. hatte nach dem Wiener Kongress dem Fürsten Metternich eine riesige Malachitvase voll Samen des Riesenbärenklaus geschenkt, die dieser wiederum im Englischen Garten seiner Sommerresidenz in Schloss Kynžvart angepflanzt hatte, da man dieses Unkraut damals für eine hübsche Zierpflanze gehalten hatte. Sogar über Riesenbärenklau würde sie lieber schreiben … verdammter Mist. Aber alles Lamentieren half nicht, sie hatte die Reise angetreten, nun musste sie auch liefern. Zumal an deren Ende eine feste Anstellung als Redakteurin winkte. Es fragte sich nur – wo anfangen? Sie schob ihren leeren Teller beiseite, schlug den Reiseführer zu und trank einen Schluck Wein. Sie würde der örtlichen Zeitung einen Besuch abstatten, das waren immerhin Kollegen. Sicher auch der Polizei, wahrscheinlich dem Bürgermeister oder wenigstens einem Stadtrat. Einigen willkürlich ausgesuchten Bürgern ein paar Fragen zu stellen, war sicher auch keine schlechte Idee. Sie kramte den Zeitungsartikel aus ihrer Tasche, den sie vorsichtshalber mitgenommen hatte. Darin war von einer gemeinnützigen Organisation die Rede gewesen, die sich um Prostituierte kümmerte, die aussteigen wollten. Vielleicht würde man ihr da weiterhelfen. Ich hätte Steve um einen Mietwagen bitten sollen, dachte sie, als sie feststellte, dass sich das Büro dieser Organisation auf der deutschen Seite der Grenze in Sachsen befand. Sie sah sich schon die meiste Zeit in öffentlichen Verkehrsmitteln verbringen. Wie lange wohl eine Fahrt mit der Regionalbahn in dieses Kaff hinter der Grenze dauern würde? Sie notierte sich, was sie alles vorhatte, dann winkte sie der Wirtin.
»Sagen Sie, kann man hier einen Mietwagen bekommen?«
»Das halte ich für unwahrscheinlich. In Karlsbad gibt es Mietwagenfirmen, soweit ich weiß, aber das ist eine ganze Ecke von hier. Wohin wollen Sie denn fahren?«
Larissa erklärte es ihr.
»Aha. Tja, da werden Sie wohl den Zug nehmen müssen. Aber der fährt relativ häufig.«
»Hätten Sie einen Moment Zeit?«, fragte Larissa. »Ich kenne hier niemanden und wüsste gerne, was es mit dem Gerücht über die Kinderprostitution auf sich hat. Vielleicht könnten Sie mir etwas dazu sagen – Sie leben ja hier, und es ist eine kleine Stadt …«
Die Wirtin sah sich im inzwischen leeren Gastraum um. »Na schön. Ich hole mir nur einen Kaffee. Einen Moment, bitte.« Zwei Minuten später war sie mit einem dampfenden Becher zurück und setzte sich zu Larissa an den Tisch. »Es ist ein widerliches Thema … aber vielleicht ändert sich ja endlich etwas, wenn darüber berichtet wird.«
»Es ist also kein Gerücht? Ich hatte gehofft …«
»Ich meinte Prostitution im Allgemeinen. Ob an dem Gerücht was dran ist – schwer zu sagen. Auf der Straße sieht man nur Frauen, wenn überhaupt. Die Stadtverwaltung hat es immerhin geschafft, die Prostituierten von der Straße in die Bordelle zu verbannen. Das Problem an sich haben sie aber nicht gelöst. Solange die Nachfrage groß ist, wird sich daran wohl auch nichts ändern.« Sie seufzte. »Na ja, manchmal sind es schon ziemlich junge Frauen, aber Kinder habe ich selbst nie gesehen.« Sie schwieg einen Moment, dann fuhr sie fort: »Vor ein paar Monaten, im Sommer, war eine alte Schulfreundin von außerhalb hier, und sie erzählte eines Abends, sie habe ein junges Mädchen in ein Auto einsteigen sehen …«
»Was für ein Auto?«
»Ein ausländisches. Deutsches Kennzeichen. Sie ist dem Auto ein Stück nachgefahren, bis es in einen Waldweg eingebogen ist.«
»Und dann?«
»Sie kam ziemlich aufgelöst hierher und erzählte mir davon. Sie war auf dem Rückweg zur Polizei gefahren und hatte dem Diensthabenden davon berichtet, aber der meinte, sie habe sich bestimmt geirrt, Kinderprostitution gebe es hier nicht, das habe sich diese
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