Reinen Herzens
geschrieben von einem anonymen Autor, der sich das Pseudonym Solo Lovec gegeben hatte. Als er es damals gelesen hatte, war er überzeugt gewesen, dass der Autor sein Freund Jirka Kratochvíl sein musste. Es war genau die Sorte von Humor und Weltsicht, die den Rechtsmediziner auszeichnete. Zudem fuhr Jirka gerne nach Berlin, wann immer er konnte, er hatte einen wahren Narren an dieser Stadt gefressen. Und auch seine Freundinnen wechselte er schneller als manch anderer seine Hemden. Erstaunt hatte David im Laufe des Falls der Mumie aber feststellen müssen, dass der Autor ein anderer war. Ausgerechnet Honza, der Exspion. David griff nach dem Buch, das er vor kaum einer Stunde dort abgelegt hatte, setzte sich aufs Bett und schlug es irgendwo in der Mitte auf.
» Transcendentálie: marginálie «, las er und lächelte, ja, das würde er inzwischen getrost unterschreiben: Transzendentalien: Marginalien . Seine Augen glitten zum nächsten Absatz: » Jsem jen myšlená figura .« Ich bin eine gedachte Figur . Er seufzte. Ja, auch das traf zu – mehr, als ihm lieb war. Es fühlte sich seltsam an, jemand zu sein, dessen ganze Biografie nur aus einem Namen bestand. Selbst der schemenhafte Protagonist des Büchleins hatte mehr eigene Geschichte als dieser Jan Navrátil, der er jetzt war. Aber vielleicht war das ganz anders gemeint, schließlich war das hier die Übersetzung eines zwischen Poesie und Prosa oszillierenden Textes. Im Original mochte sonst was stehen. Irritiert las er weiter: » V baru Schleusenkrug / Někdo hraje na mandolínu. / Do prdele s mandolínou. ---- / VRHAČ NOŽŮ ZEMŘEL . / Dnes v noci. / --- Utopil se v oceánu lilií. / S pěnou kolem úst. / Zkapal za nepředstavitelných bolestí .«
Als wäre dies eines jener Bücher, in denen man von seinem eigenen Schicksal liest, dachte er verwundert. Abzüglich des Schleusenkrugs natürlich, der war in Berlin, David kannte das Lokal nicht, und abzüglich des Mandolinen-Spielers, dessen Musik die Hauptfigur dieser fragmentarischen Erzählung, die sich Yvan Tzara nannte, offenbar ziemlich genervt hatte. Der Messerwerfer ist gestorben, stand dort in Großbuchstaben, wie ein Aufschrei auf dem Papier, heute Nacht, ertrunken in einem Ozean von Lilien, mit Schaum vor dem Mund, unter unvorstellbaren Schmerzen. Anděl klappte das Büchlein zu und warf es auf das Fußende des Bettes. Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Ich bin nicht der Messerwerfer, dachte er, aber ich bin auch tot. Der Gedanke deprimierte ihn ebenso wie das Buch, das ihm im Sommer so viel Freude bereitet hatte. Inzwischen aber hatte er das Gefühl, als lese er darin verklausuliert Teile seiner eigenen vertrackten Geschichte. Unerträglich. Trotzdem nahm er es immer wieder zur Hand und las, bis er es nicht mehr aushielt. Masochist, schalt er sich, sentimentaler Blödmann. Dieses himmlische Sanatorium schlug ihm aufs Gemüt. Er nahm das zweite Buch vom Stapel. Herzstillstand . Ein Thriller aus dem Krankenhausmilieu. Er überflog den Text auf der Rückseite. In einem Krankenhaus sterben Patienten an einem Herzstillstand, obwohl sie nach ungefährlichen Eingriffen auf dem Weg der Genesung waren. Eine junge Medizinerin zweifelt an der angeblich natürlichen Ursache der Todesfälle … Bla, bla, bla, bla. Das Buch landete mit einem lauten Klatschen auf dem Boden unter dem Fenster. Es passte zu Felix’ verschrobenem Humor, jemandem, der in einem Sanatorium festsaß, einen Thriller über Todesfälle im Krankenhaus mitzubringen. David hielt sich für nicht hypochondrischer veranlagt als der durchschnittliche Mann, aber das hier würde er in seiner jetzigen Situation ganz sicher nicht lesen. Lieber würde er noch ein paar Mal Yvan Tzaras Ringelreihen mit seinem halben Dutzend Geliebter folgen. Das war immerhin amüsant, obwohl Affären derzeit auch nicht gerade das waren, worüber er nachdenken wollte. Die Sache mit Eva ließ ihm keine Ruhe. Und das war nur eine Affäre, nicht ein halbes Dutzend. Gab es wirklich Männer, die, ohne mit der Wimper zu zucken, mit so vielen Liebschaften gleichzeitig jonglierten wie dieser Yvan Tzara, famous comedy actor from Berlin , wie es an einer Stelle in dem Buch hieß? Wunschdenken, dachte er, nichts als völlig beklopptes Wunschdenken. Schon mit einer Frau konnte man sich mehr Ärger einhandeln, als einem lieb war. Er ließ sich in die Kissen sinken, schloss genervt die Augen. Herzstillstand , hallte es in seinem Kopf, Herzstillstand … Es erschien ihm
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