Reise in die arabische Haut
und Latifa linsen hinter dem bunt gestreiften Sonnenvorhang hervor. Mehdi springt auf sein Kinderfahrrad und dreht scheppernd eine Ehrenrunde. Die Stützräder seines Rades klappern wie Kastagnetten.
Jadda klatscht begeistert in die Hände. »Pravo, Pravo.«
Walda schiebt mich in mein Zimmer. Der Raum ist nicht wieder zu erkennen. Anstatt des alten Schrotts steht an der gegenüberliegenden Wand die Pritsche, die Jadda zuvor als mittägliche Schlafstatt gedient hat. Die kränkliche Dame kann sich nun nicht mehr unter freiem Himmel ausruhen. Diese Feststellung verschafft mir ein schlechtes Gewissen.
Auf dem massiven, antiken Eichenschreibtisch thront der altersschwache Computer von Shirin.
»Deiner«, sage ich und zeige vom Computer auf Shirin.
»No, yours for the new book«, definiert Jamila, die mir dauernd nachfolgt.
Weil ich keine Lust auf Diskussionen habe, beschließe ich, den PC später abzustoßen.
Meine Klamotten passen haargenau in die buchsbaumfarbene Kommode. An den Garderobenständer hänge ich meine Jacke und meine Handtasche.
Der einzige Wermutstropfen ist das fehlende Fenster in meiner Kammer, der allerdings durch eine hundert Watt Glühbirne ausgeglichen wird.
Momentan bin ich restlos zufrieden. Wie flott die Frauen alles organisiert haben, ist mir ein Rätsel. Es zeigt mir ohne Worte, dass sie sich über mein Erscheinen freuen.
Meine Medikamente und zwei ungelesene Bücher sind meine einzigen Luxusgüter, die ich in Beni Hassen besitze. Die Handzettel für mein Buch bleiben vorerst unberücksichtigt.
Ich bin mit wenigen Habseligkeiten in einem fremden Land gestrandet. Ich fühle mich wie Robinson Crusoe, der mit vielen femininen Freitagen gesegnet ist.
Ich schlendere in den Hof. Niemand zu sehen. Gebetszeit. Auch für mich: »Allah, ich danke dir, dass du mich in ein Land geführt hast, wo die Orangen auf den Bäumen heranreifen. Allah habe Dank, dass du mir die Chance gibst, mein Leben zu überdenken. Amen Allah.«
Ich bete in der trostlosen, unaufgeräumten Küche und plane, hier eine Grundsäuberung durchzuführen.
Die glockenhellen Stimmen aus dem Hof befreien mich aus meiner Isolation. Ich gehe vor die Tür und sehe, dass Walda und Shirin, weiß verschleiert, den Hof verlassen. Da die Frau in Rot mit den Kindern vor Stunden aufgebrochen ist, um ihr tägliches Pflichtprogramm, den Elternbesuch, zu absolvieren, bin ich mit Jadda und Jamila allein zu Haus.
»They are working.«
Warum haben sie sich nicht verabschiedet? Ist das Sitte hier? Mir wird klar, dass ich als Ausländerin von vielem ausgeschlossen bin.
Auch Jamila will gehen. »I will go to the Children-Shop, will help the other two. Bye.«
Wenigstens sagt eine Tschüss. Im Laufe der nächsten Tage erfahre ich, dass in dieser Familie jeder seinen Weg geht. Sowohl Begrüßungen als auch Verabschiedungen sind Fremdwörter in meiner angeheirateten Familie.
Bis auf Jadda ist niemand mehr im Haus. Stolz zeigt sie mir das arabische Steh-Klo, das von den anderen Familienmitgliedern benutzt wird. Es liegt versteckt in einer mickrigen Zelle neben dem Schuppen. Außer einem Loch mit rechts und links rilliger Keramik, wo man die Füße hinstellt, hängt ein silberner Wasserschlauch an der Wand.
Die Monotonie prägt meinen ersten Tag in Beni Hassen. Ich bereue, Khalids Argumente beiseite geschoben zu haben.
Jadda steht in ihrem Türbogen und ruft nach mir: »Bent, Bent.«
Im Zimmer schält sie sich flott aus ihrem Hemd. Ich massiere ihren Rücken mit der Rheumasalbe. Die Muskeln sind verhärtet. Ein untrüglich seelisches Zeichen: Es liegt zu viel unnötiger Ballast auf ihren Schultern. Ich klopfe ihre Rückenpartie mit Franzbranntwein ab. Sie grunzt selig.
Jadda sieht alt aus. Älter, als ihre gelebten Jahre es bescheinigen. Die verwelkte Haut ist von der Sonne ausgebrannt. Die knöchernen Hände spiegeln ein arbeitsames Leben wieder. In ihrem bräunlich karierten, weiten Glockenrock, der verwaschenen, violetten Bluse und den blauweißen Gummilatschen sieht sie aus wie ein Landei auf der Flucht.
Andererseits wirkt sie mit den Berber-Tätowierungen an den Fußgelenken sowie an Stirn und Kinn rundweg trendy. Wenn sie singt, halten sich alle die Ohren zu. Heulkonzert. Jadda benimmt sich, wie ein Hühnerei auf einer Straußenfarm. Manchmal befremdlich, aber für mich akzeptabel.
Wir bekommen allmählich Hunger. In dem riesigen Kühlschrank lagern nur zwei kleine Fische und ein Ei.
Jadda kocht eine traditionell tunesische Suppe.
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