Reise in die arabische Haut
aufgeschnappt und niemals mehr vergessen. Seit dieser Zeit lebe ich ungezwungen im Hier und Jetzt.
Am Ende der lebhaft bunten Einkaufsstraße findet heute der traditionelle Souk statt. Wir bummeln durch die bevölkerte Gasse. Bunte Eindrücke prasseln auf uns herein. Von hohen Gewürzpyramiden, frischen Früchten, verschiedenen Gemüsesorten und farbiger Kleidung bis hin zu Aluminiumtöpfen wird alles feilgeboten. Marktgänger nehmen auf andere Besucher keine Rücksicht. Es wird geschubst und geschoben, was das Zeug hält. Motorroller quälen sich röhrend und stinkend durch das Menschengewühl. Als ich zum dritten Mal einen ordentlichen Seitenhieb abbekomme, mokiere ich mich über das zänkisch brutale Verhalten der Tunesier. Ich bin erleichtert, als wir das Ende der Verkaufsstände erreichen.
Von Entspannung ist nichts zu spüren, denn wir steuern auf den nächsten Basar zu.
Fünfzig Schritte weiter landen wir auf dem berühmten Kamelmarkt. Schafe, Ziegen, Rinder und Esel blöken die Besucher an. Olivenbauer diskutieren über die Ware Tier und seine Kosten. Frauen scheinen hier unerwünscht zu sein, denn man begegnet kaum einer Dame. Ali Baba schaut sich die Esel genauer an. Eselbabys. Goldig. Ich streichele die kleinen Tierchen.
Ein Dromedar, welches auf der Erde sitzt und uns gierig mustert, sieht mit seinem leicht geöffneten Maul aus, als wolle es jeden Moment zubeißen. Ich halte fakultativ Abstand.
Fünfmal hintereinander marschieren wir durch den Tiersouk, während Ali Baba sämtliche Esel sorgfältig unter die Lupe nimmt. Schlussendlich kauft er das eselige Baby, das wir anfangs gesehen haben.
So sieht also der exklusive Ausflug aus, den Ali Baba in der Frühe angepriesen hat. Ein Eselskauf.
Baba bindet dem Esel einen Strick um den Hals und zieht ihn dorsal des Weges. Das kleine Tier läuft nicht so schnell wie wir, aber Ali kennt keine Gnade. Er tritt hinter den Esel und schubst ihn vor sich her. Der Esel beschwert sich mit einem mürrischen I-Ah.
Als Baba den Esel in den Kofferraum sperren will, werde ich aktiv. Um mich zu beruhigen, gestattet Baba, dass sich das Tier auf der Rückbank breit machen darf.
Ich taufe das Eselchen auf den Namen Graba. Den Namen habe ich aus den beiden Wörtern Grau und Baby zusammengesetzt.
Anstatt auf dem schnellsten Weg nach Haus zu düsen, besichtigen wir die Touristenhochburg Hammamet. Graba bleibt im relativ schattigen Auto liegen, während wir anderen durch die glühend heißen Gassen strolchen. Die Souvenirhändler stellen sich mir in den Weg und fordern im Touristen-Deutsch: »Komm herein, Madam. Wir gut Preis machen.«
Walda weist die Geschäftsmänner mit einem bösen Blick in ihre Schranken. Die giftigen Blicke stören die Souvenirbetreiber nicht. Ich wimmele die Kerle ab. Sehen sie nicht, dass ich unter tunesischer Obhut stehe?
Unser Hunger treibt uns in ein kleines, behagliches Lokal an der Avenue Habib Bourguiba. Das ‘Siniyya‘ bietet günstige, traditionelle Speisen an. Wir knabbern Grillfleisch mit tunesischer Salatplatte auf zivilisierter Art. Wir verwenden nonchalant unser Besteck.
Meine Gedanken schweifen zum Esel ab. Der Arme sitzt allein im Auto und langweilt sich gewiss zu Tode.
Auf der Strandpromenade kauft Baba zwei Jasminsträußchen von adretten Straßenhändlern, die ihre Blüten an jeder Ecke bereithalten. Elegant dreht Walda ihr Sträußchen in der Hand.
Ich kopiere sie und drehe am Strauß der Vergangenheit. Ich verwandele mich in eine hübsche Biedermeierbraut, die ein Rendezvous mit Eduard Mörike hat.
Als wir gegen Nachmittag zu Hause eintreffen, freuen sich die Kinder über das Tier, das wir mitgebracht haben. Graba kommt in die Remise.
Jadda ärgert sich über den unnötigen zusätzlichen Fresser. Ali Baba zerstreut ihre Bedenken, denn er will den Esel, wenn er ausgewachsen ist, als Ackergaul nutzen.
Ich bin die Einzige, die sich Tag für Tag des Esels annimmt. Er ist wie ein Tagebuch. Ich vertraue ihm meine Wünsche, meine Sehnsüchte und meine Ärgernisse an. Und wenn er mich mit seinen treuen Augen anblickt, erhole ich mich blitzartig. Esel verhalten sich nicht dumm und störrisch. Esel benehmen sich korrekt, wenn sie auf artverwandte Seelen treffen. Graba und ich werden die besten Freunde, die auch in der ärgsten Not zusammenhalten. Baba wundert sich, dass der Graba sich bei ihm widersetzt, mir aber aus der Hand frisst. Er überträgt mir die alleinige Verantwortung für das Eselchen. Niemand erhebt Einspruch,
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