Reise in die arabische Haut
Zuckerschlecken mit unseren zwei Geistern durch die Altstadt zu huschen. Als wir an einer Geschäftsstelle vorbeischlendern, zieht mich Jadda hinein. Uns erwartet ein Fastfood-Stehcafe mit Selbstbedienung. Wir stellen uns an einen runden Tisch, derweil versorgt uns Shirin mit kalorienreichen Cremeschnitten und Gebäck. Kaffee steht nicht auf der großen Anzeigetafel. Begriffsstutzig kapiere ich, dass wir in einer Bäckerei gelandet sind und der Tisch als Zierde dient. Nichtsdestotrotz laben wir uns an der mächtigen Buttercremetorte. Jadda verdeckt beide Augen und lässt den Mund aus ihrem Vorhang aufblitzen. Ich wundere mich, dass sie ihre Schnute trotz verdeckter Augen nie verfehlt. Das ist die Kunst der älteren, traditionsbehafteten, tunesischen Frauen. Sie passen sich überall kulinarisch an. Sie verstecken sich, obwohl Bourguiba versus der Verschleierung war. Der Expräsident berücksichtigte nicht, dass viele Frauen ihr weites Laken lieben und ohne dieses nicht vor die Tür gehen. Siehe Jadda und Walda.
Im Museum bestaune ich die kunstvollen Mosaike, die warmen Öllampen und die Marmorstatuen. Jadda liest die Inschriften laut vor. Jamila fehlt die Lust zum Übersetzen. Je weiter wir uns von Jadda entfernen, umso dröhnender doziert sie die Infotafeln. Walda tickt dreimal an ihre Stirn und zeigt auf Jadda. Ein Verhalten, das Fragen aufwirft. Wenn man alles in der Relation sieht, sind wir anderen vielmehr die Spinner, die nichts über Mahdias Geschichte hören wollen. Wir klettern über eine Treppe in den zweiten Stock des Museums und sind umgeben von verschwenderisch verzierten Grabplatten und Grabsteinen. Das ist Jaddas Welt, sie quiekt: »Oih, hui, berfekkkt.«
Jadda kommentiert die Münzen und Koranschriften. Ein Bediensteter zeigt uns einen geheimnisvollen Gang, der nach draußen führt. Nun warten wir auf dem Dach des Museums, während Shirin und Jamila einen Turm hochklettern, um die Aussicht zu genießen.
Jadda nimmt jede Pflanze und jeden Stein unter die Lupe. Durch ein offenes Fenster schaut sie auf den Mandelverkäufer, der eine Etage tiefer im Skifa el-Kahla steht und seine gebrannten Mandeln anpreist.
»Berfekt«, schreit sie herunter.
Der Verkäufer ruft zurück: »Salam aleikum.«
Jadda reibt sich die Hände und jauchzt: »Berfekt.«
Für Jadda ist am heutigen Tag alles perfekt. Nur meine Welt steht Kopf, wenn ich an die Denunziantin denke, die mein Buch verschmäht.
Unten auf der Straße kauft Shirin zwei Tüten mit braunen, knusprigen Mandeln. Knabbernd spazieren wir zum Bordj el Kebir. Das türkische Fort wurde 1595 errichtet und mehrmals umgebaut. Schließlich wurde es von den Franzosen als Gefängnis benutzt und restauriert. Wir steigen auf die Festung und haben einen Blick über das weite Meer, die vielen Häuser und den Friedhof. Von jeder Seite überblickt man ein anderes Viertel der Stadt. Jadda schaut ehrfürchtig auf die weißen, hohen Gräber, die im Sonnenlicht blinken.
»Perfekt?«, frage ich und umfasse Jaddas Hüfte.
Diese wehrt ab, schüttelt verneinend den Kopf und starrt mit traurigen Augen in den Himmel. Daraus lerne ich: »Die Toten schlafen nicht auf Friedhöfen, sondern schweben im Universum. Wie kann da ein Gottesacker perfekt sein?«
In einem Kiosk kaufen wir Boga Cola, da der Durst uns übermannt. Mittlerweile habe ich mich an den Geschmack von Boga gewöhnt und vermisse keine originale Cola mehr.
Auf der Rue M. Abessalam steht ein altes, arabisches Wohnhaus mit alttunesischer Einrichtung. Das Gebäude ähnelt dem Stil in Beni Hassen. Die ausgestellten traditionellen Kleidungsstücke und Hochzeitsgewänder entführen mich in ein Märchen von 1001 Nacht.
Im Esszimmer laden Couscous und Tee zum Verweilen ein. Zu unserem Leidwesen ist dieser Imbiss einer Reisegruppe gewidmet.
Mitleidheischend klagt Jadda über ihren leeren Bauch. Ihr Gebrüll stört den gesamten Hausfrieden. Peinlich. Ein Anlass, um sich fremd zu schämen.
Die Dame des Hauses zeigt Entgegenkommen. Kurz entschlossen bringt sie einen großen Teller mit zuckersüßem Schaumgebäck. Dazu schenkt sie uns Tee in Blechbechern aus. Jadda kostet das erste Plätzchen.
»Berfekt.«
Peinlichkeit hin oder her. Ich bediene mich auch, denn mich kennt hier sowieso niemand.
Vor der abschüssigen Felsenküste ist das Wasser glasklar, sodass wir kleine Fische sehen, die zwischen den Algen ihre Bahnen schwimmen. Weit im Meer schippern Segelboote in den Fluten. Am Horizont geht die güldene Sonne unter. Man
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