Reise nach Genf
Fahrer gab Vollgas.
»Was ist, wenn sie gleich in meine Wohnung kommen?«
»Sie kommen nicht«, sagte ich. »Sie kommen nie. Sie kommen nur dann, wenn ihnen jemand den Rücken stärkt.«
»Hast du Schmerzen? Glaubst du wirklich, daß Karl-Heinz, na ja, daß sie ihn benutzen, um mich irgendwie zu bespitzeln?«
»Sicher. Sie brauchen solche Leute. Sie sind Leute, die solche Leute immer schon gebraucht haben. Nichts ändert sich.«
Sie bezahlte den Fahrer und ließ sich ganz ordentlich eine Quittung geben. Sie stützte mich auf dem Weg nach oben, sie ließ für mich heißes Wasser in die Badewanne laufen und löste mir eine Handvoll Aspirin auf. Ich trank das Gebräu, und als die Schmerzen nur noch dumpf pochten, stieg ich in die Wanne.
Sie hockte auf der Lokusbrille und wirkte sehr erschöpft. Sie sagte verwundert und starr: »Ich glaube, ich bin wirklich naiv.«
»Mach dir nichts draus«, murmelte ich. »Das ist das Geheimnis der Macht.«
DRITTES KAPITEL
Ich erinnere mich, daß die Schmerzen langsam zurückgingen, daß sie mir einreden wollte, ich solle in ihrem Bett schlafen, daß ich mir zwei Sessel zusammenschob, mich hinlegte und schließlich doch in ihrem Bett aufwachte. Sie lag angezogen in den zwei Sesseln, und sie schlief tief und fest. Es war zehn Uhr. Ich ging in das Badezimmer, um mich zu besichtigen. Die Schläge in den Halsansatz hatten keine Spuren hinterlassen, nicht einmal blaue Flecken. Das war Profiarbeit. Die rechte Hüfte prangte in beinahe allen Farben des Regenbogens, aber ich mußte dankbar sein, daß ich mein Bein überhaupt noch bewegen konnte. Ich hörte, wie sich draußen im Wohnzimmer etwas rührte.
»Wer lockte Watermann nach Genf?« fragte Minna laut.
»Der Mörder«, rief ich zurück.
»Watermann kannte ihn?«
»Er muß nur überzeugend geklungen haben, sonst nichts.«
»Hast du herausgefunden, was Watermann in Genf tat?«
»Bis auf seine Mörder scheint das kein Mensch zu wissen. Er kam Samstagnachmittag an und wurde am nächsten Tag, also am Sonntag, kurz nach ein Uhr mittags tot in seiner Badewanne gefunden. Nach seinen Tagebucheintragungen traf er diesen gewissen Rohloff, der ihm angeblich Entlastungsmaterial geben wollte. Aber aus vielen Gründen ist diese Tagebucheintragung wahrscheinlich falsch. Mit anderen Worten: Kein Mensch weiß eine Antwort auf die Frage, was Watermann rund vierundzwanzig Stunden lang in Genf getan hat.«
»Also war er ständig im Hotel?«
»Darauf kann man mit Ja und mit Nein antworten. Das Hotel hat viele Eingänge, durch die man hinein- und hinausgehen kann, ohne beachtet zu werden. Angeblich ist er zusammen mit anderen Hotelgästen gesehen worden. Das ist auch so eine Merkwürdigkeit: Es gibt keine Gästeliste.«
»Du weißt aber sehr genau Bescheid.«
»Das muß man, wenn man annimmt, daß er getötet wurde.«
»Wieso fand dieser deutsche Reporter den Watermann eigentlich?«
»Fragst du das, um meinen Wissensstand zu prüfen? Oder willst du es wirklich wissen?«
»Ich finde deinen Beruf aufregend, ich will es wissen.«
»Also: Wenn ein Bonze wie Watermann sich auf die Flucht macht, sind Reporter hinter ihm her. In der Regel werden sie von den Büros der Fluggesellschaften verständigt, wer wohin fliegen will. Kaum war Watermann in seinem Ferienhaus auf Gran Canaria, tauchten schon die ersten Journalisten auf. Das ist normal, das ist unser Job, wenngleich ich diese Form von Indiskretion nicht mag. Es ist also nicht weiter verwunderlich, daß etliche Journalisten sofort wußten, daß Watermann nach Genf flog und im Hotel ›Beau Rivage‹ abstieg. Der Stern-Reporter Sebastian Knauer ging am Sonntag, ziemlich exakt um zwölf Uhr dreiundvierzig zu Watermanns Apartment, um zu klopfen und ihn um ein Gespräch zu bitten. Die Tür war merkwürdigerweise offen. Knauer ging hinein, fand ihn in der Badewanne und fotografierte ihn.«
»Hättest du das auch getan?«
»Selbstverständlich. Daß Knauer später in der Schweiz deswegen verurteilt wurde, gehört zu den Bigotterien unserer Schweizer Nachbarn, derartige Verlogenheiten sind normal, bei uns Deutschen übrigens auch. Am Samstag gibt die Zeit zwischen halb sieben und halb elf Uhr Rätsel auf. Um diese Zeit saß Watermann in einem Taxi von seinem Ferienhaus zum Flughafen Gran Canaria. Normalerweise dauert die Fahrt zwanzig Minuten. Watermann brauchte im Taxi drei Stunden, und da der Taxifahrer bis heute nicht gefunden wurde, weil kein Mensch ernsthaft nach ihm suchte, weiß niemand, was
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