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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Neven DuMont
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ereigneten. Eines Nachts, als ich zu später Stunde mein Bett verlassen und noch einmal das Badezimmer aufsuchen musste, schlich ich über den dunklen Flur an dem Schlafzimmer meiner Eltern vorbei, wo in anderen Nächten stets Grabesstille herrschte. Diesmal hörte ich mit Schrecken das wilde Keuchen meines Vaters, unterbrochen von dem Gewimmer der Mutter, Laute, die ich zuvor niemals und bei meinen Eltern schon gar nicht vernommen hatte. Mutter war ganz offensichtlich in Gefahr, kein Zweifel, es wurde ihr Leid angetan und sollte ich nicht ihr zu Hilfe eilen? Aber der Vater als Übeltäter?! Das leuchtende Vorbild, die Respektsperson! Undenkbar. Ich erstarrte. Niemals durfte ich die Türklinke zum elterlichen Schlafzimmer berühren, um so vielleicht Zeugin eines Verbrechens in unserer Wohnung zu werden. Der Bannstrahl des Vaters würde mich sicherlich treffen, von dem ich mich zeitlebens nicht erholen könnte. Schrie jetzt die arme Mutter auf? Mit Tränen in den Augen tapste ich zurück in meine Kammer, hielt mir verzweifelt die Ohren zu. Nie in meinem Leben würde ich mir vergeben, Mutter in ihren ärgsten Nöten nicht beigestanden zu sein. Am nächsten Morgen verließ Vater früher als sonst die Wohnung, ich war gerade noch fähig, einen kurzen Blick auf sein mürrisches Gesicht zu werfen. Er sah mit verschlossener Miene an mir vorbei. Mutter schien völlig unverändert. Ich konnte keine Spur eines nächtlichen Kampfes an ihrem Gesicht oder ihren Händen erkennen. Aber ihr Grußwort war kürzer als sonst, den Kopf gebeugt ging sie ihrer Arbeit nach. Nun wusste ich, dass wir, Vater, Mutter und ich, eine echte Trauergemeinde bildeten. Schwere dunkle Wolken lasteten über uns, und ich, ich war ein unauflösbarer Teil dieser Tragödie. Und das Schlimmste war die Stille, nichts durfte ausgesprochen werden.
    Der zweite Schock ereignete sich nur wenig später. Eine längere Hausaufgabe hatte mich eines Nachmittags in meinem Zimmer aufgehalten. Als ich endlich aus meiner kleinen Höhle herauskam, war unsere Wohnung still und leer, ich war allein zu Haus. Alle Türen waren geschlossen. Ich ging in die Küche, wo ich einen Schluck Milch trank und durch das offene Fenster unten im Hof zwei spielende Jungen beobachtete, dann zurück zum Badezimmer, um mir meine Hände zu waschen und die Haare zu kämmen. Die Klinke der offenen Tür noch in der Hand, erstarrte ich zu Eis: Es war undenkbar, nicht vorstellbar, vor mir im Badezimmer stand eine splitternackte Frau, die sich in einem großen Spiegel, den ich dort nie gesehen hatte, betrachtete. Vater erlaubte keine Spiegel im Haus, abgesehen von einem tellergroßen Exemplar, vor dem er sich rasierte. Das Schrecklichste aber war: Die nackte Frau, die wie gelähmt vor mir stand, war meine Mutter. Mit Entsetzen sah ich ihr rot angelaufenes Gesicht, verzerrt, fast nicht wiederzuerkennen, voller Scham. Ich sah ihre riesigen Brüste mit den großen dunklen Brustwarzen, den gewölbten Bauch, unten einen schwarzen ungebändigten Haarbüschel, die breiten Schenkel. Sie blieb reglos mitten im Raum stehen, einem lebenden Denkmal gleich, nur der Kopf neigte sich noch tiefer, als es sonst ihre Art war. Die leicht angehobenen Hände zuckten, deuteten die Verzweiflung an, stellvertretend für den Mund, der versiegelt war. Nur mit einem Schrei konnte ich mich aus dem Bann des Geschehens befreien. Ein Schrei, den ich mitnahm, als ich in hastigen Schritten das Bad fluchtartig verließ, die Tür hinter mir zuschlug, in mein Zimmer stürzte und mich auf das Bett warf. Ich schluchzte in die Kissen: Nie würde ich meine Mutter wieder sehen können wie früher, niemals, nie würde sie mir verzeihen! Mein Leben erschien mir wie ein riesiges Loch, in das ich unwiederbringlich, für ewig verbannt war.
    Was danach geschah, erinnere ich nicht, mein Gedächtnis lässt mich hier im Stich, nur soviel weiß ich, dass Mutter für den Rest des Tages verschwunden war, wie vom Erdboden weggezaubert, was, soweit ich denken konnte, sich noch nie ereignet hatte. Ich aß schweigend mit Vater zu Abend, der Mutter zu meinem Erstaunen nicht zu vermissen schien und der, bevor er sich vorzeitig zurückzog, einige aufmunternde Worte an seine völlig verunsicherte Tochter richtete; so, als ob er mir ein paar Brocken hinwerfen würde. Und dann, abends spät, als ich bereits im Bett lag, erschien sie unverhofft, trat nah zu mir, legte ihre Hand streichelnd auf meine Stirn und lächelte mich an.
    In dieser Zeit war ich oft krank,

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