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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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ticinesi  –, die ich jeden Tag in der Hitparade des AFN (American Forces Network) hörte. This ol’ house, The little shoemaker, Mister Sandman, sing me a song.

1958   –   1968

MEHR und mehr wurde ich von Gefühlen überschwemmt, für die ich keinen Namen gehabt hätte, hätte ich sie überhaupt benennen wollen. Ich hatte schon deshalb keine Worte für sie, weil ich ihr belastendes Elend oft selber nicht bemerkte. Ich nahm sie wahr, ohne sie wahrzunehmen. Vielleicht sprachen meine dunklen Gefühle von damals just auf diese Weise zu mir, damit ich ihre Botschaft nicht ausformulieren musste und sie im Ungefähren belassen konnte. Sie überschwemmten mich allerdings zuweilen mit solcher Heftigkeit, dass ich nur noch mit ihnen beschäftigt und also sprachlos war, weil mir die Wucht ihres Sturmwinds ein klares Denken verunmöglichte und mir jeden Laut in der Kehle erstickte. Immer wieder einmal packte – unvermutet, unentrinnbar – eine Faust mein Herz und presste es zu einem engen Klumpen. Ich krümmte mich. Hitze strömte dann aus meinem innersten Innern, dorther, wo kein Licht je hingelangte und ich auch nicht hätte hinblicken können, wenn ich es versucht hätte. Eine überströmende jähe Hitze kochte in mir und machte mich schwindlig. Lava, Magma. Alles drehte sich um mich oder in mir, und um Halt zu finden, ballte ich meine Fäuste, presste die Kinnlade zusammen, schloss die Augen, atmete kaum mehr und verharrte steif an dem Ort, an dem mich die Schockwelle des Bebens in meinem Innern erwischt hatte. Schreckstarre, so wie sich manche Tiere verhalten, wenn der Todfeind sie am Genick hat. Wenn ich den Schock eine Weile lang ausgehalten hatte und immer noch nicht untergegangen war, begann ich zu zittern, atmete heftig ein und aus, lachte vielleicht sogar. Redete, wenn ich dann redete, zu laut. Duschen half auch, lange Jahre ging ich, präventiv sozusagen, jeden Abend ins Hallenbad und schwamm – schnell, heftig und dennoch langsam, denn ich war nie ein Sportschwimmer – meine Bahnen. Wasser tat mir gut. Marschieren im Wald auch, als Gegengewicht zum Mich-Totstellen, zu dem ich verurteilt war, wenn der Angriff aus dem Innern mich überrumpelte. Wer griff mich an? Ich mich selbst, oder doch fremdvertraute andere, die sich in früher Vorzeit in meinem Innern festgebissen hatten, auf dass ich sie nie vergäße? Jedenfalls, aus dem Krater in mir stiegen Schatten, Fratzen, Gesichter bis nahe an meine Netzhaut – von innen aber! –, verweilten allerdings dort so kurz, dass ich sie nicht deutlich erkennen konnte. Allenfalls so, dass ich rief: Du!? Bist du es?!, mein Erkennen aber nicht endgültig werden konnte. Auch war ja längst die nächste Erscheinung da und quälte mich mit ihrem neuen bekannt-unbekannten Gesicht. »Ihr, Lemuren, seid es also!« Und immer die Farbe grün. Die Panik war grün; die Alben, die im Grün schwammen, konnten auch schwarz sein. Ein Leuchten. Ein verschattetes Geschliere, ständig in Bewegung wie Giftwolken, eine Fratze nach der andern gebärend, von der ich nicht wusste, war sie nah, fern, groß oder klein. Kein Ton, nein, die Gesichter zogen still ihre Bahnen. Kein Schrei wäre dem Schrecken gewachsen gewesen. – Ich hatte das Gefühl, von mir selber in mich selber hinein verschlungen zu werden. Ich wurde von einem geheimen Zentrum in mir innen eingesogen, von einem Mahlstrom, aus dem es kein Entrinnen zu geben schien, nach innen unten gewirbelt. Dass ich jeweils doch nicht ertrank und überlebte, war eine Erfahrung, die mir wenig half. Jedes Mal war der Todesschrecken wie beim ersten Mal. – Es blieb nur, mich, wenn die ersten Hitzewellen in mir hochstiegen, in eine Sofaecke zu krümmen oder ohne zu atmen an einen Baumstamm gelehnt zu warten. Die Bösen in mir kochten meine Innereien nicht immer auf gleich großer Flamme. Verbrüht werden oder überleben, das war dennoch eine Wahl, die ich nicht als Wahl verstand, denn ich hatte ja keine. Wen so eine Glut überfällt, der diskutiert nicht mit ihr. – Wenn das körperfüllende Gewirbel verebbte, kam wieder Licht in mein Hirn. Sonne, Farben. Töne. Mein Herz ratterte noch eine Weile, mein Atem wurde ruhiger. Mein Schweiß trocknete. Dann kam ich aus meiner Ecke hervor oder ließ den Baum los.
    Der andere Begleiter jener Tage war noch schwerer mit Begriffen zu fassen. Wie auch! Ich versuchte es ja schon mit den unübersehbarsten Angstanfällen nie. Eine Panik ist eine Panik, sie zu ignorieren ist unmöglich. Sie dauert ihre

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