Reise zum Rand des Universums (German Edition)
Bahnhof fuhr, wo sie in den nächstbesten Zug nach Norden stieg. Er fuhr nach Paris, nicht nach Basel. Kein Blick, kein Adieu. Ich wartete, bis der Zug abfuhr. Ein vorbeihuschender Schatten hinter dem spiegelnden Glas mochte Brigitte sein. Ich winkte, der Schatten nicht.
Ich blieb dann noch einen Tag in Florenz, besichtigte den Dom und bewunderte die erzene Pforte voller Paradies- und Höllenszenen, einfach nur, um die Achtung vor mir selber nicht ganz zu verlieren. Dann brach auch ich mein Zelt ab. Wenn Georges Blin mich jetzt gesehen hätte, mit meinem schlappen Spatz in der Hand!
Ich nahm auch einen Zug in den Norden, einen nach Basel, wie Brigitte einen frühen, einen so frühen in der Tat, dass die Campingkasse noch unbesetzt war und ich darauf verzichten musste, meine und Brigittes Übernachtungskosten zu bezahlen.
(IN der Nacht, nachdem ich dieses Kapitel fertiggeschrieben hatte, träumte ich, ich sei im Haus an der Marignanostraße. Dem Kindheitshaus. Kein Mensch da, niemand. Eine leere Wohnung. Es war Nacht, ich lag im Bett, erwachsen im Gitterbett, und jäh begann ein Krieg draußen über der Stadt. Bomben. Lichtblitze vor dem Fenster, Schreie. Ich rief Mama!, Mami!, vergeblich, denn ich rief mit einer piepsigen Kinderstimme, wusste aber, dass da keine Mama war. Ich dachte, so im Pyjama oder Nachthemd zu sein, das war nicht gut in einem Krieg, und stand auf und wollte mich anziehen, zu spät, die Kriegsmänner waren schon im Garten, an der Tür, im Haus, und ich: wachte auf.)
EPITAPH für Max. – Wenn auch erwachsene Männer einen besten Freund haben – so wie die Frauen eine beste Freundin –, dann war Max mein bester Freund. Wie liebte ich ihn. Er starb früh, vor seiner Zeit, in den Armen seiner Frau, Evas, die mir von seinem Tod berichtete. Max sagte: »Ich sterbe«, und dann starb er.
(Für die paar, die Max [Max Zaugg] nicht kannten: Brille, eine Glatze schon mit fünfundzwanzig, brandmager, obwohl er wie ein Drescher aß [er war, so sagte er es selber, »ein schlechter Futterverwerter«], mit einer immergleichen Cordhose [ersatzweise Jeans] und einem Schlabberpullover. Etwas zwischen einem verwaschenen Olivgrün und einem Schmutzigbraun. Schiefgelaufene Schuhe im Winter, im Sommer Heilandssandalen. Barfuß oft. Er hatte eine Freundin [Eva eben], die, als ich sie zum ersten Mal zusammen mit Max sah, zwei verschiedenfarbige Strümpfe trug. Rot links, schwarz rechts, oder umgekehrt. Die beiden tanzten Charleston, Max eher wie die Parodie eines Tänzers, Eva aber wie eine Teufelin. Sie fegte die Tanzfläche leer, nur Max tat sie nichts. Applaus aller andern, auch ich klatschte. Max und Eva heirateten bald, hatten bald auch ein Kind [Sabine] und waren also eine richtige Familie mit einer eigenen Wohnung. Das verführte mich ungemein, dieses glasklare Erwachsensein, obwohl ich ja eben noch ein Ähnliches mit Anne-Marie weit von mir gewiesen hatte.
Er war Zeichenlehrer, Max. Aber ich sah ihn als einen Maler und brauchte meine Zeit einzusehen, dass er sich bei meinen hohen Erwartungen unbehaglich fühlte und sie ihn nicht förderten. In der Tat hatte er eine Handvoll schöner Bilder gemalt. Nur, er ließ es für den Rest seiner Tage damit bewenden. Das Einzige, wofür er noch einen Pinsel ergriff [außer in der Schule], waren die Fasnachtslaternen, die er Jahr für Jahr für eine Clique malte, die ihm und der er treu blieb. Eine Fasnachtsliebe spielte auch eine Rolle. Die Laternen wurden jedes Mal sehr schön – leichte Farben, eine Vorliebe für Grün und Blau, wie dahinimprovisiert –, aber ich bekam auch mit, dass er in den Wochen vor Fasnacht Qualen litt und seine Kunstwerke immer erst auf den letzten Drücker hinkriegte. Die letzte Nacht malte er durch. Keine Fasnacht, in der seine Clique nicht eine Laterne mit noch nassem Lack mitgetragen hätte. Manchmal malte er sie – Lack hin oder her – auch erst während der Fasnacht fertig, hinterrücks wie ein Guerillero, wenn seine Clique ahnungslos im ›Löwenzorn‹ oder im ›Schlüssel‹ rastete und die Laterne unbeaufsichtigt draußen auf der Straße wartete. Er pirschte sich an sein Werk heran, tat seine sieben Pinselstriche und tauchte unerkannt wieder in der Menge unter. Dann kam er mit einem schiefen Grinsen in die Hasenburg und hatte farbverschmierte Hände. Manchmal hatte er sein Fasnachtsliebchen dabei, einen Pierrot mit einem hellen Gesicht und blonden Haaren. Ohh, Max.)
Ach Max. Wie konntest du uns allen antun, einfach tot zu
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