Reisen im Skriptorium
Trance erwacht, immer noch im Dunkeln tappen.
Jemand klopft ihm auf die Schulter, doch bevor Mr. Blank die Augen aufmachen und auf dem Stuhl herumfahren kann, um zu sehen, wer da ist, hat diese Person bereits zu sprechen angefangen. Klangfarbe und Intonation der Stimme sagen ihm sofort, dass es die eines Mannes ist, nur verwirrt es ihn, dass diese Stimme miteinem deutlichen Cockney-Akzent zu ihm zu sprechen scheint.
Entschuldigen Sie, Mr. Blank, sagt der Mann. Ich habe mehrmals angeklopft, und als Sie nicht an die Tür gekommen sind, hielt ich es für ratsam, einzutreten und nachzusehen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist.
Jetzt erst schwenkt Mr. Blank auf dem Stuhl herum und sieht sich seinen Besucher an. Der Mann könnte Anfang fünfzig sein, hat ordentlich gekämmtes Haar und einen kleinen braunen Schnurrbart mit grauen Stellen darin. Weder klein noch groß, denkt Mr. Blank, aber doch eher klein als groß, und wie der Mann da in seinem Tweedanzug steht, aufrecht, geradezu stocksteif, sieht er aus wie ein Soldat oder vielleicht auch wie ein niedriger Beamter.
Und Sie sind?, fragt Mr. Blank.
Flood, Sir. Vorname James. Zweiter Vorname Patrick. James P. Flood. Erinnern Sie sich nicht an mich?
Schwach, nur schwach.
Der Expolizist.
Ah. Flood, der Expolizist. Sie wollten mir einen Besuch abstatten, stimmt’s?
Ja, Sir. Ganz recht, Sir. Deswegen bin ich hier. Um Ihnen einen Besuch abzustatten.
Mr. Blank lässt den Blick durch den Raum schweifen, er sucht nach einem Stuhl, den er Flood anbieten könnte, doch offenbar ist der einzige Stuhl im Raum der, auf dem er selbst sitzt.
Stimmt was nicht?, fragt Flood.
Nein, nein, antwortet Mr. Blank. Ich suche nur nach einem zweiten Stuhl, das ist alles.
Ich kann mich auch aufs Bett setzen, sagt Flood und weist darauf. Oder, falls Sie sich dem gewachsen fühlen, könnten wir auch in den Park gegenüber gehen. Dort herrscht kein Mangel an Bänken.
Mr. Blank zeigt auf seinen rechten Fuß und sagt: Mir fehlt ein Schuh. Mit nur einem Schuh kann ich nicht nach draußen gehen.
Flood dreht sich um und erspäht sogleich den weißen Tennisschuh auf dem Fußboden unterm Fenster. Da liegt der andere, Sir. Den können wir Ihnen im Handumdrehen wieder anziehen.
Handumdrehen? Wie meinen Sie das?
Nur so eine Redensart, Mr. Blank. Nicht böse gemeint. Flood unterbricht sich kurz, sieht noch einmal nach dem Schuh auf dem Boden und sagt: Nun, wie wär’s? Sollen wir ihn anziehen oder nicht?
Mr. Blank stößt einen langen, müden Seufzer aus. Nein, sagt er mit einem Hauch Sarkasmus in der Stimme, ich möchte ihn nicht anziehen. Ich habe diese verdammten Schuhe satt. Falls überhaupt, würde ich lieber auch noch den anderen ausziehen.
Kaum hat er diese Worte gesprochen, kommt ihm die ermutigende Erkenntnis, dass ein solcher Akt im Bereich des Möglichen liegt, dass er in diesem einen banalen Fall tatsächlich etwas selbst in die Hände nehmenkann. Und ohne zu zögern bückt er sich und zieht den Turnschuh von seinem linken Fuß.
Ah, das ist besser, sagt er, hebt die Beine an und wackelt mit den Zehen. Viel besser. Und ich bin immer noch ganz in Weiß gekleidet, ja?
Selbstverständlich, sagt Flood. Was ist daran so wichtig?
Schon gut, sagt Mr. Blank und tut Floods Frage mit einer Geste als bedeutungslos ab. Setzen Sie sich nur aufs Bett und sagen Sie mir, was Sie wollen, Mr. Flood.
Der ehemalige Inspektor von Scotland Yard lässt sich am Fußende der Matratze nieder, positioniert seinen Körper im linken Quadranten, um sein Gesicht auf das des alten Mannes auszurichten, der ungefähr zwei Meter entfernt, mit dem Rücken zum Schreibtisch, auf seinem Stuhl sitzt. Flood räuspert sich, als suche er nach einem geeigneten Einstieg für seine Rede, und sagt dann mit leiser Stimme, die vor Beklemmung zittert: Es geht um den Traum, Sir.
Den Traum?, fragt Mr. Blank, verblüfft von Floods Erklärung. Was für einen Traum?
Meinen Traum, Mr. Blank. Den Sie in Ihrem Bericht an Fanshawe erwähnt haben.
Wer ist Fanshawe?
Sie erinnern sich nicht?
Nein, erklärt Mr. Blank mit lauter, gereizter Stimme. Nein, ich erinnere mich nicht an Fanshawe. Ich kann mich an kaum etwas erinnern. Man pumpt mich mit Pillenvoll, und jetzt ist fast alles weg. Meistens weiß ich nicht einmal, wer ich bin. Und wenn ich mich nicht an mich selbst erinnern kann, wie können Sie dann erwarten, dass ich mich an diesen … diesen …
Fanshawe.
Fanshawe erinnere.
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