Reizende Gäste: Roman (German Edition)
das Geld lieber in eine Kiste Bailey’s anzulegen. Bei Lamberts Rückkehr war sie bei der vierten Flasche.
Der Alkohol mußte ihr Denkvermögen beeinträchtigt haben, dachte sie. Denn als sie ihn ansah, wie er da in der Tür stand und weder spottete noch schwankte, allerdings auch keine allzu zerknirschte Miene zur Schau trug, da hatte sie überraschenderweise überhaupt nichts empfunden. Angestrengt versuchte sie, die Wut- und die Haßgefühle heraufzubeschwören, die, das wußte sie, sie verzehren mußten; versuchte, sich eine passende Beleidigung auszudenken, die sie ihm entgegenschleudern konnte. Aber außer »Du Scheißkerl!« fiel ihr nichts ein. Und als sie es sagte, kam es in solch mattem Ton heraus, daß sie es sich genausogut hätte sparen können.
Er hatte ihr die Blumen gegeben, und Philippa hatte sie ganz schön gefunden. Dann hatte er die Weinflasche geöffnet und ihr ein Glas eingeschenkt, und sie hatte davon getrunken, obgleich ihr leicht übel war. Als sie erst einmal seine Blumen genommen und seinen Wein getrunken hatte, schienen beide stillschweigend übereinzukommen, daß er zurück war, daß ihm vergeben war, daß ihre Ehe wieder gekittet war.
Es war, als hätte das Drama gar nicht stattgefunden. Als hätte sie ihm nie gedroht, ihn zu verlassen; als hätte er sie nie angerührt. Als hätte es keine bösen Worte und keine Tränen gegeben. Wann immer sie den Mund öffnete, um darüber zu sprechen, wurde ihr übel, und ihr Herz begann zu hämmern. Schweigen schien soviel einfacher. Je mehr Zeit verstrich, um so unwirklicher wirkte das Ganze, und um so weniger überzeugt war sie von ihrer Fähigkeit, ihn wegen der Geschichte zur Rede zu stellen.
Und doch wollte sie es. Ein Teil von ihr wollte ihn wieder anschreien; wollte sich in eine Raserei hineinsteigern und ihn anbrüllen, bis er sich vor Schuldgefühlen auf dem Boden wand. Ein Teil von ihr wollte die ganze Szene noch einmal durchleben, und diesmal wollte sie als Heldin, als Siegerin daraus hervorgehen. Und ein Teil von ihr wollte die Kraft finden, der Welt zu erzählen, was geschehen war.
Denn niemand wußte davon. Fleur nicht; ihr Vater nicht; und auch keine ihrer Freundinnen. Sie hatte die schlimmste Krise ihres Lebens durchgemacht, hatte sie irgendwie überstanden, und niemand ahnte etwas. Noch immer hatte Fleur nicht zurückgerufen. Die Sache war schon über zwei Wochen her. Sie hatte auf keinen ihrer Anrufe reagiert.
Philippa spürte, wie ihr Tränen der Wut in die Augen schossen, und sie starrte aus dem Autofenster. In dem verzweifelten Wunsch, mit Fleur sprechen zu können und Hilfe und Rat zu erhalten, hatte sie zunächst wiederholt in »The Maples« angerufen. Dann war Lambert zurückgekommen, und sie beide schienen ihre Beziehung wieder ins Lot zu bringen. Philippa merkte, daß sie Fleur ihre Geschichte weniger erzählen wollte, um Hilfe zu bekommen, als vielmehr wegen der schockierten Bewunderung, die sie damit gewiß hervorrufen würde. Jedesmal, wenn das Telefon klingelte, raste sie hin, in der Erwartung, es sei Fleur, bereit, ihr mit gesenkter Stimme zu erzählen, was losgewesen war; die Reaktion am anderen Ende auszukosten. Doch Fleur rief und rief einfach nicht zurück, und schließlich hatte Philippa die Hoffnung aufgegeben. Vielleicht war Fleur einfach unberechenbar oder vergeßlich, was das Telefonieren anbelangte, hatte sie sich gesagt. Vielleicht hatten Philippas Nachrichten sie aber auch nicht erreicht. Vielleicht hatte sie immer genau dann anzurufen versucht, wenn Philippas Telefon gerade besetzt war.
Aber heute lagen die Dinge anders; heute brauchten sie kein Telefon. Sie hätte Fleur ganz für sich, und sie würde ihr die ganze Geschichte erzählen. Bei diesem Gedanken erfüllte Philippa erregte Vorfreude. Sie würde keine Einzelheit auslassen. Und Fleur würde erstaunt sein, wie Philippa dieses Trauma ganz allein bewältigt hatte, und wäre voller Schuldgefühle.
»Ich hatte keine Menschenseele«, hörte Philippa sich in nüchternem Ton zu Fleur sagen. »Als du nicht zurückgerufen hast …« Sie würde mit den Achseln zucken. »Ich war verzweifelt. Natürlich habe ich zur Flasche gegriffen.«
»O Liebes, nein! Ich fühle mich schrecklich!« Fleur würde flehend ihre Hände ergreifen; und Philippa würde einfach noch einmal die Achseln zucken.
»Ich habe es überlebt«, würde sie gleichmütig sagen. »Irgendwie habe ich es überlebt. Aber es war hart, weiß Gott.«
»Was?« sagte Lambert plötzlich.
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