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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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pressen. Er hielt den Atem an, als er die Schuhe des Pflegers, einen Teil seiner Uniform, seines Bartes und sogar seine Nasenspitze im Türrahmen sah. Noch einen Zentimeter und er wäre geliefert.
    Michael hörte, wie sich der Mann eine Zigarette anzündete, und sah den Qualm in den Raum wabern. Sogar ein perfekter Rauchkringel war dabei.
    »Hey, Martha! Hast du hier unten ’nen schwarzhaarigen Typen herumlaufen sehen?«
    Die Frau drehte sich langsam um, sah zur Tür und legte wieder den Finger an die Lippen.
    »Ach, leck mich, du alte Hexe«, zischte der Pfleger leise und schnippte die angerauchte Zigarette in einem eleganten Bogen in den Raum hinein. Dann machte er auf dem Absatz kehrt.
    Michael verharrte weiter hinter der Tür. Etwa eine Minute lang. Bevor er ging, warf er noch einen letzten Blick auf die bizarre Runde. Dann lief er den gleichen Weg zurück, den er gekommen war.
    Vielleicht funktionierte es ja wirklich und man konnte seinen Irrsinn ausschwitzen, dachte er. War jedenfalls besser, als sich Strom durch die Birne jagen zu lassen.
    Als er die Treppe erreichte, überlegte er, wie es weitergehen sollte. Noch weiter zu suchen, machte für ihn keinen Sinn. Schließlich hatte er bis jetzt nicht einen einzigen Hinweis gefunden, dass dies etwas anderes sein könnte als eine normale Nervenklinik. Sie war fremdartig, ja, und manchmal sogar beängstigend. Aber das waren normale Krankenhäuser auch. Niemand hielt sich gerne in ihnen auf.
    Michael stieg langsam die schmale Treppe hinauf und bastelte an einer Erklärung für seinen Ausflug. Nach ein paar Stufen blieb er wie angewurzelt stehen. Hatte er gerade eine Mundharmonika gehört? Er drehte sich um und lauschte. Jetzt hörte er es ganz deutlich. Jemand hier unten spielte auf einer Mundharmonika. Eine klagende, unheimlich klingende Melodie. Und sie kam ihm bekannt vor. Er ging zurück und blieb am Fuß der Treppe stehen. Die Musik hatte etwas Beschwörendes. Aber woher kam sie? Er ging ein Stück nach rechts und sie wurde leiser. Unwillkürlich fielen ihm die Worte des Mannes auf der Treppe wieder ein. »Halt dich links!« Nur ein dummer Zufall, reiß dich zusammen!
    Michael ging in die entgegengesetzte Richtung und die Musik wurde lauter. Er konnte zwischen zwei Gängen wählen und wählte den linken. Jetzt fiel ihm auch wieder ein, woher er die Musik kannte. Sie stammte aus einem Film, einem Western, der letztes Jahr in die Kinos gekommen war. Er hatte ihn zusammen mit seinem Freund Harold gesehen, dessen Onkel Filmvorführer in einem kleinen Vorstadtkino war. Michael blieb abrupt stehen, als er sich endlich an den Titel des Films erinnerte: Spiel mir das Lied vom Tod .
    Michael hatte mit einem Mal das Gefühl, als würde er bis zu den Hüften im Morast stecken. Jeder Schritt war eine Qual und jeder Gedanke entfachte von Neuem seine irrsinnige Todes-Theorie. Er blieb stehen und stützte sich an der Wand ab. Sie fühlte sich kalt und feucht an.
    Ich bilde mir das alles nur ein. Ich habe Angst, deshalb komme ich auf solche Gedanken. Ich muss damit aufhören!
    Er ging langsam weiter, zwang sich, jeden Gedanken an den Tod zu verdrängen, aber der Klang der Mundharmonika und die Geister, die sie heraufbeschwor, machten es ihm schwer. Er hatte seine Gründe, warum er an den Tod dachte, aber er konnte den anderen unmöglich davon erzählen. Er kannte sie doch kaum.
    Michael folgte dem Gang etwa zwanzig Meter weit bis zu einer Metalltür. Er war sicher, den Aufenthaltsort des Spielers gefunden zu haben. Mit klopfendem Herzen legte er die Hand auf den Türknauf und drehte ihn. Die Tür schwang auf und die Musik verstummte.
    Der Anblick der Toilette erinnerte Michael an die stillen Örtchen, die man an versifften Autobahnraststätten fand. Es gab ein Waschbecken, ein Pinkelbecken und drei Kabinen. Aber keinen Mundharmonikaspieler. Hatte er sich das Ganze nur eingebildet? Waren es nur die alten Leitungen, die ein Geräusch erzeugt hatten, das Ähnlichkeiten mit einem Instrument hatte? Und seine Fantasie hatte den Rest erledigt? – Ja, so könnte es gewesen sein. So musste es gewesen sein.
    Sein Blick wanderte über den verdreckten Boden, die kaputten Wände und das marode Fenster über der mittleren Kabine, das nicht vergittert war. Da packte ihn jemand hart an der Schulter. Michael entfuhr ein Schrei und er drehte sich ruckartig um. Es war nur der Pfleger. Und er sah nicht glücklich aus.
    »Alter! Was treibst du hier unten? Ich such dich die ganze Zeit.«
    Michael

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