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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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Hände um ihren Kopf, als glaubte sie, so die Erinnerungen aus ihrem Schädel pressen zu können. Doch als das Bildergewitter endlich davonzog, herrschte nicht nur in ihrem Kopf Dunkelheit. Es schien, als hätte jemand im Haus die Lichter ausgeschaltet. Annabel sah alles nur noch durch einen dunklen Schleier. Sie wankte wie eine Betrunkene hin und her, versuchte, sich an der Stimme der Verkäuferin zu orientieren, die auf sie einredete. Schließlich ertastete sie eine Wand und kauerte sich auf den Boden. Mit panisch aufgerissenen Augen zählte sie die Schläge ihres rasenden Herzens… elf, zwölf, dreizehn, vierzehn… viel zu schnell… viel zu schnell!
    Doch dann vernahm sie eine vertraute Stimme. Und obwohl sie aufgeregt und schrill zu ihr herüberschallte, hatte sie nie etwas Schöneres gehört. Der dunkle Schleier vor ihren Augen verschwand. Ihr Herz beruhigte sich ein wenig.
    »Lassen Sie mich in Ruhe! Lasst mich alle einfach in Ruhe!«, schrie Eric hysterisch. Er versuchte, sich eine Verkäuferin vom Leib zu halten, die ihn offenbar beruhigen wollte. Aber Eric hörte gar nicht zu. Hinzu kam, dass sein Auftritt bereits einige Gaffer angezogen hatte und er sich von ihnen in die Ecke gedrängt fühlte.
    »Sind Sie auch eine von denen?« Eric wirkte wie ein gehetztes Tier und die Worte aus dem Mund der Verkäuferin klangen in seinen Ohren wie Laute ohne Bedeutung. Er fühlte kalten Schweiß auf seiner Stirn und spürte, wie seine Hände zitterten. Alle Menschen um ihn herum schienen sich mit großer Geschwindigkeit zu bewegen, jede ihrer Gesten, jedes Stirnrunzeln wirkte auf ihn comichaft übertrieben und bedrohlich. Holt nur eure Fackeln, holt nur eure Mistgabeln, verdammtes Pack, und bringt es zu Ende! Sie hatten es auf ihn abgesehen, daran gab es für ihn keinen Zweifel.
    Mit ausgestreckten Armen warnte er die Verkäuferin davor, näher zu kommen. Die Frau hielt sich daran.
    »Geben Sie ’s doch zu! Sie gehören dazu. Ihr gehört alle dazu.« Wild gestikulierend zeigte Eric auf alle umstehenden Personen. Bis er auf einmal panisch zusammenzuckte. Denn plötzlich glaubte er zu sehen, dass sich die Gesichter der Menschen veränderten, dass aus ihnen leichenhaft verfaulte Fratzen wurden, dass ihre glatte rosa Haut nur eine bröckelnde Maske war, hinter der sich menschenfressende Zombies versteckten.
    »Was habt ihr mit George gemacht? Wo ist George, verdammt noch mal? Habt ihr ihn gefressen, so wie ihr mich fressen wollt?«
    Eric war so auf die umstehenden Gaffer fixiert, dass er nicht merkte, wie Michael sich ihm von hinten näherte. Er fühlte nur, wie sich ein paar kräftige Arme um seine Brust legten und ihn festhielten. Eric schrie, bäumte sich auf und wandte sich hin und her. Vergebens.
    »Eric, ich bin’s doch nur. Hör auf! Hör endlich auf damit!«
    Aber Eric dachte gar nicht daran. Sein Verstand war wie ein Zug von den Schienen gesprungen und raste nun unkontrolliert einem Abgrund entgegen. Und während er das tat, deckte er Michael mit den schlimmsten Schimpfwörtern und Beleidigungen ein, die man sich vorstellen konnte.
    »Eric!« Annabels Stimme war laut und scharf. Und sie brachte ihn zum Schweigen. Sie kam langsam auf ihn zu, nahm seinen Kopf zwischen ihre warmen Hände und legte ihre Stirn an seine. »Das reicht, Eric!«, flüsterte sie. »Hör auf damit! Ich weiß, wie du dich fühlst. Michael und mir geht es doch genauso. Aber das hier hilft uns nicht. Du machst uns nur noch mehr Angst.«
    Erics Körper zuckte noch immer, aber langsam beruhigte er sich. Er sah, wie sich die Menschentraube um sie herum auflöste, und erkannte, dass es wirklich nur Menschen waren, keine Monster. Sie stellten keine Gefahr da.
    Er holte einmal tief Luft und streifte Michaels Arm ab. »Du kannst mich loslassen«, sagte er und hörte selbst, wie rau seine Stimme klang. »Ich bin okay.«
    Annabel zog die Jungs auf die Seite, wo sie vor den Blicken der Verkäuferinnen geschützt waren. Da erst bemerkte Eric, dass ihr Tränen in den Augen standen.
    »Ich dachte gerade, ich würde euch nie wiedersehen«, sagte Annabel mit bebender Stimme. »Ich war ganz allein… und ich…« Sie wischte sich mit dem Handrücken über Augen und Nase.
    Eric schämte sich. Wie hatte er nur so ausrasten können, ohne an seine Freunde zu denken? Es war, als hätte jemand einen Schalter in seinem Kopf umgelegt – grauenhaft.
    Gemeinsam verließen sie das Kaufhaus, und nachdem sie schweigend ein paar Schritte an der frischen Luft gegangen

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