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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Instrumente schössen in alle Richtungen, und das Tablett landete scheppernd auf dem Boden. Christian schnappte sich ein Infusionsgestell und schlug es dem Mann auf den Kopf. Der Aufpasser brach bewusstlos zusammen, und Christian rannte zur Tür in der Wand gegenüber. Die Klinke gab nach, und die Tür ging zu einem dunklen Gang hin auf, dessen Wände und nasser Boden aus grobem Beton waren.
    Christian schloss die Tür hinter sich und rannte den glitschigen Gang entlang. Das Wasser spritzte, seine Schuhe, Strümpfe und Hosenbeine wurden nass. Er rutschte aus, fiel hin und rappelte sich wieder auf. Erst da fiel ihm ein, dass er dem Mann die Pistole hätte abnehmen müssen.
    Zum Umkehren war es jetzt aber zu spät. Die Bewusstlosigkeit des Bewaffneten konnte zwanzig Sekunden andauern oder zwanzig Minuten. Oder eine Ewigkeit. Er probierte eine der Türen, an denen er vorbeikam, sie führte in einen dunklen Lagerraum. Auch die nächste Tür führte in eine Sackgasse, in ein Lager voller grober Seile.
    Er lief weiter und blickte sich immer wieder um. Jeden Moment würden die Verfolger hinter ihm her stürmen. Der Gang endete an einer Treppe, die nach oben führte. Kurt Coblentz sah die Frau, die sich umgebracht hatte, ausdruckslos an. Ihre Entscheidung weckte seine Hochachtung. Er ging davon aus, dass er in einer entsprechenden Situation genauso gehandelt hätte. Darum sah er in Sylvia Epstein auf gewisse Art sich selbst. Sie waren sich von Grund auf gleich: absolut und fanatisch, keine Durchschnittsmenschen, die mit dem Strom schwammen, keine kleinen Helden des Alltags. Coblentz lebte jenseits des Alltags. Er lebte das große Leben, und eines Tages würde er auch den großen Tod sterben - so wie Sylvia.
    Schweigend reichte der Arzt das gelbe Blatt Papier aus seiner Brusttasche an Coblentz weiter. Coblentz überflog die Antworten des Deutschen. »Hältst du das Ergebnis für verlässlich?«
    »Ja.«
    Coblentz dachte nach, ohne sich die Erleichterung anmerken zu lassen. »Brück ist entkommen«, rief plötzlich jemand auf dem Gang.
    Coblentz warf einen fragenden Blick auf die Tür, überließ das Handeln aber seinen Untergebenen. An einem Ort wie Bukovica würde die Flucht nicht lange dauern. Sie durfte es auch nicht. Coblentz hasste jede Art von Unsicherheit.
    Von Anfang an hatte es bei der ganzen Operation einen Faktor gegeben, den zu kontrollieren extrem schwierig war: die Medien.
    Anfangs hatten sie es für möglich gehalten, die konkrete Ursache für den Flugzeugabsturz nicht zu benennen, aber das hatte sich wegen der Medien als unmöglich erwiesen. Es musste ihnen zumindest ein Grund angeboten werden, sonst würden die Journalisten und die Angehörigen der Opfer nie Ruhe geben. Ein Bestandteil der vorgetäuschten Unglücksursache befand sich nun auf der Flucht und musste so schnell wie möglich wieder eingefangen werden.
40
    Christian rannte gerade die Treppe hinauf, als er hinter sich eine Tür schlagen und Männer etwas rufen hörte. Die Verfolger waren bereits hinter ihm her. Er bog in einen Quergang ein, der breiter, aber noch schlechter beleuchtet war. Schwer keuchend rannte er weiter, mit pulsierender Angst in den Adern. Aber diese Angst war nun kein lähmendes Entsetzen mehr, sondern beschleunigende Energie, die mehr Tempo, Kraft und Willen in die Muskeln pumpte. Christian hatte sein Schicksal in die eigenen Hände genommen. Er kämpfte.
    Aber unter der Erregung schwelte ein düsterer Gedanke: Er hatte gerade einen Menschen niedergeschlagen und dabei dessen eventuellen Tod in Kauf genommen. Wuchs das Böse also auch in ihm? War die Grenze zwischen Gut und Böse so fließend, so undeutlich?
    In dem tunnelartigen Gang folgten in regelmäßigen Abständen schmale Türen aufeinander. Christian registrierte es, aber seine Gedanken waren bei Sylvia. Der Selbstmord war ihr letztes Mittel gewesen, das Geheimnis zu bewahren - und vielleicht auch die Grenze zwischen Gut und Böse zu ziehen.
    Jetzt lag alles allein in seiner Verantwortung. Er riss eine der Türen auf. Dahinter befand sich ein enger Raum, in dessen Wand eine rechteckige Schießscharte eingelassen war. Man konnte den Himmel sehen. Frischer Seewind schlug Christian entgegen. Er blickte durch die Öffnung und fast wäre ihm schwindlig geworden bei dem Anblick.
    Unter ihm fiel senkrecht eine Wand ab, die nach hundert Metern in der schäumenden Gischt des Meeres endete. Auf Augenhöhe drehten ein paar kreischende Möwen ihre Kreise. Einer der Vögel war stumm,

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