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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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als was die Nato die Zivilisten bezeichnet, die sie ermordet? Als Kollateralschäden.«
    Christian nickte. Er hatte den Begriff auch in den Zeitungen gelesen. Mit einem Mal schien ihm Franjo vollkommen vertrauenswürdig. Im Auto wurde es still. »Du kannst uns vertrauen«, sagte Franjo nach einer Weile. »Vojislav versteht Deutsch und Englisch perfekt. Er hat in Podgorica Dolmetschen studiert. Aber er kann seinen Beruf nicht mehr ausüben. Vojislav, zeig es unserem Freund.«
    Vojislav drehte sich während der Fahrt kurz zu Christian um und machte den Mund auf. Anstatt der Zunge war nur ein rosa Fleischstummel zu erkennen. Christian wandte den Blick ab.
    »Das war ein Albaner«, sagte Franjo.
    Hinter einer flachen Anhöhe kam in der Abenddämmerung die Bucht von Kotor zum Vorschein. Die schmalen Bäume schwankten im Wind und bildeten vor den Meereswellen ein natürliches, wogendes Gitter.
    Zum tausendsten Mal zerbrach sich Christian den Kopf über Sylvias verschlüsselten Hinweis. Würde er die Kassette in dem Schließfach mit der Nummer 80 finden? Die Tatsache, dass sich Sara im selben Land und bald in derselben Stadt befand, erfüllte Christian zusätzlich mit Sorge. Er wollte ihr Leben unter keinen Umständen gefährden. Und doch gab ihm ihre Ankunft neue Hoffnung, denn sie kam von außen, seine Verfolger kannten sie nicht. Aber es war allemal falsch, sie in eine lebensbedrohliche Situation hineinzuziehen.
    Die Hauptstraße folgte der Uferlinie. Irgendwann bog Vojislav nach rechts zum Busbahnhof ab.
    »Fahren Sie bitte noch ein, zwei Häuserblocks weiter«, sagte Christian zu Vojislav. Es war ein merkwürdiges Gefühl, zu einem Mann zu sprechen, der nicht antworten konnte. »Ich will mich zuerst etwas umsehen.«
    Vojislav bog in eine schmale Seitenstraße ein und hielt vor einem Lokal namens Restoran Korzo.
    »Zieh das hier an«, sagte Franjo und nahm eine Baumwolljacke vom Rücksitz, die Christians blutenden Arm verbergen sollte. Sie stiegen aus, und Christian wischte sich den Lehm von den Schuhen, aber gegen die an den Knien abgewetzte Hose konnte er nichts machen. Im Straßenbild von Kotor war er jedoch nicht der Einzige mit zerschlissenen Kleidern. Franjo nahm einen schweren Schraubenzieher aus dem Kofferraum und schob ihn in die Innentasche seiner Jacke. So hatten sie es vorher vereinbart.
    Sie gingen zu dem Platz vor dem Busbahnhof. Christian sah sich um, auf der Suche nach Sara. Was, wenn die Kassette nicht in dem Schließfach lag?
    Am Rand des Platzes, vor der Pizzeria Spoleto, blieb er stehen, Franjo und Vojislav folgten ihm auf dem Fuß. Das Busbahnhofsgebäude war flach und breit, ehemals weiß gekalkt, inzwischen aber dunkelgrau. Ein schwankender Bus fuhr mit Vollgas an ihnen vorbei, aus dem Auspuff quollen blaue Abgase.
    Christian ging weiter und sah sich dabei nach allen Richtungen um. Saras Sicherheit lag in seiner Verantwortung.
    Gegenüber einem ausrangierten Linienbus standen zwei schmutzige Türen offen, die zu den sanitären Anlagen für Männer und Frauen führten. Daneben befand sich das Schaufenster des Bahnhofskiosks mit Coca-Cola-Dosen, Mars-Riegeln und Schinkenbrötchen. Christian spähte durch das Fenster, aber keine der Personen, die er erkennen konnte, erinnerte an Sara. Eine junge Verkäuferin rauchte hinter der Theke. Wenn Sara nicht bald auftauchte, würde er sie mit Franjos Telefon anrufen. Ein westeuropäisch wirkender Mann in Lederjacke, der sich neben dem Haupteingang eine Zigarette anzündete, fesselte Christians Aufmerksamkeit.
    »Das Objekt wartet auf etwas«, murmelte Nummer fünf in das Mikrofon an seinem Ärmel, während er sich eine Zigarette anzündete.
    »Behalt ihn im Auge«, sagte die Stimme von Coblentz in dem Ohrhörer, den Nummer fünf hinter einem Ohr verborgen trug. »Wir sind unterwegs. Wo ist Nummer vier?« »Auf der anderen Seite des Platzes«, murmelte Nummer fünf.
    »Weiter observieren. Nicht eingreifen, wir sind bald da.«
    Christian kniff die Augen zusammen. Es hatte den Anschein, als spreche der Mann in der Lederjacke mit sich selbst. Seine Zigarette brannte mittlerweile, und er ging weiter, nachdem er einem schielenden jungen Mann, von dem er angesprochen worden war, etwas erklärt hatte.
    Christian ging auf den Eingang zu. Die steinerne Schwelle war zu einer runden Mulde ausgetreten. In der Bahnhofshalle war fast niemand. Die Schließfächer lagen in einer halbdunklen Ecke, wo der Betonboden von Zigarettenstummeln, Papierabfall und Speichelflecken

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