Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
Schusswunde darüber starrte. Sie war exakt auf dieselbe Weise umgebracht worden wie der junge Montenegriner. Man hatte sie eiskalt hingerichtet. Ihre Lippen waren zu einem sanften, leicht erstaunten Lächeln erstarrt. Das verlieh der Toten einen seltsam ruhigen Ausdruck, als wäre sie mit offenen Augen in den Schlaf gesunken. Der Tod war schnell gekommen.
Das Geräusch eines Autos auf der Querstraße ließ Christian zusammenzucken. Er sprang auf und rannte ohne nach rechts und links zu schauen hinter den verlassenen Kiosk. In diesem Moment empfand er weder Trauer noch Entsetzen noch Angst. Allein der Selbsterhaltungstrieb steuerte sein Verhalten, er war ein keuchendes, schwitzendes, fliehendes Tier.
Über den Wert der Kassette in seiner Jackentasche bestand nicht mehr der geringste Zweifel. Sie hatte nun schon zwei Menschenleben gekostet. Christian starrte auf die abblätternde Farbe der Bretterwand vor seinen Augen und horchte auf das Geräusch des näher kommenden Autos.
Zu seinem Entsetzen hielt das Fahrzeug unmittelbar neben der Toten an. Es drängte ihn, um die Ecke zu spähen, um zu sehen, was passierte, aber dann wäre er womöglich bemerkt worden. Zwei Türen gingen auf. Die Polizei?
Dann wurde der Kofferraum des Wagens geräuschvoll geöffnet. Das war eindeutig nicht die Polizei. Christian wischte sich mit dem Ärmel über die laufende Nase. Was ging hier vor? Er musste es einfach wissen. Millimeterweise schob er den Kopf nach vorne und sah schließlich, wie zwei Männer Rebeccas Leiche in ein Auto luden, derart zügig und mühelos, als handele es sich um eine Puppe in Lebensgröße. Einer der Männer - er war mittleren Alters und ordentlich, aber etwas nichtssagend gekleidet - schlug den Kofferraumdeckel zu und setzte sich auf die Rückbank, der andere, ähnlich aussehende Mann eilte zur Fahrerseite nach vorne. Die zielstrebige Aktion hatte nicht länger als einige Sekunden gedauert. Schon fuhr das graue Auto davon und hinterließ nichts weiter als eine blaue Abgaswolke in der Gasse. Christian schaute auf das Nummernschild, sagte sich die Nummer hysterisch vor und tastete dabei nach einem Stift in der Tasche. PJ 369-12. Er zog sich hinter die Ecke des Kiosks zurück und notierte mit zitternden Fingern die Nummer auf der Rückseite eines Kassenbons. Dann steckte er den Zettel ein, sah sich nach allen Seiten um und verließ sein Versteck.
Ihm fiel nur eine Erklärung für die Vorfälle ein: die Kassette. Zwei Menschen waren getötet worden, obwohl sie nicht einmal gesehen hatten, was auf dem Band war. Allein das Wissen um die Existenz der Kassette hatte genügt. Und ebendiese Kassette befand sich in seinem Besitz.
Er war das nächste Opfer, daran konnte kein Zweifel mehr bestehen.
Christian beschleunigte seine Schritte und bog in die belebte Straße ein, auf der unnatürlich alltäglich das Leben dahinfloss.
Der Gedanke an Rebecca trat eine Welle physischen Schmerzes in ihm los. Er versuchte den Gedanken abzuwehren und den neugierigen Blicken der Einheimischen auszuweichen, merkte aber, dass er mit seinem scheuen, abweisenden Verhalten erst recht die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zog. Ein uralter Mercedes Diesel knatterte vorbei und spritzte Matsch aus einer Pfütze auf Christians Hosenbeine, die ohnehin schon schwarze Rußflecken vom Ort des ersten Mordes zierten. Ein gebeugt gehender Greis kreuzte seinen Weg und murmelte mit seinem zahnlosen Mund mürrisch etwas vor sich hin. Christian fühlte sich nackt und von den Menschen und den Autos bedroht.
An einer Bäckerei bog er in eine stille Gasse ein und drückte sich an die Wand. Am anderen Ende erkannte er einen begrünten Platz und an dessen Rand eine altmodische Telefonzelle. Er grub in seinen Taschen und fand einige Münzen. Er ging weiter die Gasse entlang, dann blieb er stehen und sah sich um. Nur hin und wieder tauchte ein zufälliger Passant auf dem Platz auf.
Etwas Auffälliges war nicht zu erkennen. Christian betrat die Telefonzelle, in der es nach Urin roch, nahm die Visitenkarte des Hotels aus der Tasche und rief an der Rezeption an, mit der Bitte, ihn mit dem Zimmer von Sylvia Epstein zu verbinden. Sylvia mochte eine durchtriebene Journalistin sein, aber gegen einen Killer war sie harmlos.
»Hier ist Christian Brück. Haben Sie etwas über die Organisation, die den Flugzeugabsturz untersucht, herausgefunden?«, fragte Christian heiser, ohne fähig zu sein, seine anhaltende Erschütterung zu verbergen. Er hatte Schwierigkeiten,
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