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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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umringt worden war?
    Er ging weiter, sah sich erneut um und merkte, dass der Alte ihm kopfschüttelnd nachsah. Der Mercedes konnte jedem gehören. Christian redete sich ein, Gespenster zu sehen - aber andererseits hatte er nicht einmal bei den Zigeunerkindern gut genug aufgepasst.
    Er ging nach links in Richtung Innenstadt, wählte dafür aber einen Weg im Schutz der Bäume. Auf der Straße wäre es kürzer und müheloser gewesen, doch jetzt wollte er konsequent vorsichtig sein. In dem Waldstück, das aus grauen serbischen Fichten bestand, hörte man es knarren und rumpeln, weil am Nordrand der Stadt die alte Zahnradbahn den Hang hinaufkletterte.
    Christian sah vor sich Rebecca im Schmutz liegen, er sah den gebrochenen Blick ihrer leblosen Augen, und erst jetzt erfasste ihn der Schock mit aller Kraft.
    Im Gehen wischte er sich mit dem Ärmel über die Augen. Am Stoff waren kleine Ruß- und Blutflecken zu erkennen. Er bemerkte sie erst jetzt, und der Anblick der Blutspuren ließ ihn innehalten. Es war nicht gut, einen solch offensichtlichen Beweis vom Tatort am Leib zu tragen, trotz aller Unschuld.
    Er musste an den kleinen Jungen am Flughafen von Nizza denken, der den Spielzeuggeländewagen in der Hand gehalten hatte. Seine Mutter würde nie mehr nach Hause zurückkehren. Christian konnte noch immer spüren, wie Rebecca sich an ihn gelehnt hatte, wie sie sich die Tränen abgewischt, Trost gesucht und nach der Bedeutung ihres beängstigenden Traums gefragt hatte. Kalte Schauer über liefen ihn. Vielleicht ließ sich das alles doch nicht rational erklären. Unter seine Angst und Panik mischte sich ein blinder Hass auf die Mörder. Wer waren sie? Was wollten sie mit ihren Bluttaten erreichen oder verhindern?
    Auf jeden Fall waren Rebeccas Mörder für ihre Tat selbst verantwortlich und konnten sich nicht auf die gehirnchemischen Prozesse berufen, die Einfluss auf ihr Aggressionsniveau genommen hatten. Sie hatten vorsätzlich getötet. Das Böse hatte nichts mit den Botenstoffen der Gehirnzellen zu tun, das Böse nistete im Herzen des Menschen, nicht im Gehirn.
    Christian spürte trotzige Energie in sich aufwallen.
    Der rote Filzstift zeichnete eine Linie auf den Stadtplan von Pjevac. Im Hintergrund hörte man das Rauschen des Funkverkehrs. Im Slalom fuhr der Stift durch die Gassen und Parks der Stadt, die zwischen Meer und Bergen eingeklemmt war, bis er einen Kreis gezogen und den Ausgangspunkt erreicht hatte. »Wir riegeln die Stadt ab.« Die Lippen bewegten sich vor dem Mikrofon eines Funkgeräts im gedämpften Licht hinter den dunklen Scheiben eines Vans.
    »Der Wald«, antwortete eine Stimme über Funk. »Passt auf, dass er nicht durch den Wald aus der Stadt herauskommt. Ich werde euch Verstärkung schicken.« Raschelnd wurde der Stadtplan zusammengefaltet, und das Auto setzte sich in Bewegung.
23
    Christian blieb stehen. Er glaubte, undeutlich Worte und Schritte gehört zu haben. Oder war das Einbildung gewesen?
    Schneller als zuvor ging er weiter, überquerte eine halb-morsche Brücke über einen Graben, verließ den ausgetretenen Pfad und begab sich tiefer in den Wald hinein, in den Schutz der niedrigen Laubbäume. Der Verlust von Pass und Portemonnaie machte ihn rasend. Wie hatte er nur so dumm sein können! Ohne Pass würde er aus Montenegro nicht hinauskommen, jedenfalls nicht auf legalem Weg. Neben einem umgekippten, morschen Baum lag allerlei Abfall herum. Christian pflückte sich eine verblichene Plastiktüte heraus.
    Bald ging das Waldstück auf dem schmalen Uferstreifen in felsiges Berggelände über, und das Vorankommen wurde durch Reisig, Farn und Dornenhecken erschwert. Christian blieb im Schutz einer Kiefer neben einem Steinhaufen stehen, steckte die Kassette in die Plastiktüte, wickelte sie ein und schob sie tief in die von Moos überwachsene Öffnung zwischen zwei Steinbrocken. Lange würde er es nicht wagen, die Kassette dort zu lassen, denn irgendein neugieriges Tier konnte sie jederzeit aus dem Versteck ziehen.
    Er prägte sich die Stelle genau ein: den Baum, der von einem Blitzschlag zersplittert war, die schwarzen Wurzeln, die sich über den Boden schlängelten, den Ameisenhaufen, weit weg hinter den Bäumen den Kirchturm ...
    Christian fühlte sich ohne die Kassette leichter, dennoch war er noch vorsichtiger als zuvor, als er sich auf den Weg durch die Vorstadt ins Zentrum zum Hotel Adriatic machte. Ob er diesem Klein, den Sylvia erwähnt hatte, vertrauen konnte? Allein die kurz aufkeimende

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