Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
Besorgniserregend ist, dass er zu leidenschaftlichem Hass fähig zu sein scheint.«
Luc schaute Sara unangenehm forschend an. »Und wie Sie wissen, sind alle Frauen von waghalsigen, unberechenbaren Männern fasziniert. Béa ist da keine Ausnahme.« Sara nahm noch einen Schluck Wasser, ohne Lucs Verallgemeinerung zu kommentieren.
»Sobald wir bei der Polizei waren, werde ich noch einmal zum Hauptquartier der Sekte in der Nähe von Mougins fahren«, sagte Luc. »Ich nenne es einfach >Das Haus<.« Sara nahm ihren Lederrucksack, gab dem jungen Mann hinter dem Tresen Geld für die Benutzung des Computers und folgte Luc nach draußen.
»In welcher Verfassung ist Béa aus dem Neuen Morgen herausgekommen?«, wollte Sara wissen.
»Das Opfer eines Kults ist fast immer emotional, sozial oder sogar physisch geschädigt. Das Leben als Mitglied eines Kults ist hart. Aber Béa geht es einigermaßen gut. Wenn die Spuren des Unfalls verheilt sind, wird sie über alle Voraussetzungen für ein ausgeglichenes Leben verfügen. Vielleicht wird sie dann ihr Jurastudium wieder aufnehmen.«
Sara ging mit großen Schritten neben Luc her. Sie musste einer Vespa ausweichen, die dicht an ihr vorbeirauschte. Die Haare, die unter dem Helm der jungen Fahrerin herausragten, flatterten im Fahrtwind. Nach einigen Metern bogen Sara und Luc in die Fußgängerzone ein, die vom Ufer wegführte und vom Jaulen einer Drehorgel widerhallte.
»Ich finde es unglaublich, dass vernünftige Menschen sich auf so einen Blödsinn wie einen Kult einlassen«, sagte Sara und setzte die Sonnenbrille von der Stirn auf die Nase.
»Kulte und Sekten sind gerade darauf aus, begabte, fähige Menschen als Mitglieder zu gewinnen. Von denen profitiert der Kult, von Schwächlingen nicht. Und es ist gar nicht so schwer, diese Leute zu gewinnen, wie es von außen den Anschein haben mag. Der Anwerber geht sie frontal an.«
Luc blieb abrupt in der Nähe des graubärtigen Leierkastenmannes stehen und legte Sara die Hand auf die Schulter. »Er sagt zu dir: >Sara, ich finde, du bist wahnsinnig intelligent. Nie im Leben würdest du dich zwingen lassen, etwas zu denken oder zu tun, was du nicht willst. Du entscheidest selbst über deine Einstellung und lässt dich nicht von dem beeinflussen, was die Zeitungen an dummem Zeug über uns schreiben. Dafür bist du einfach viel zu intelligent. Wann hättest du Zeit, dir einen von unseren Vorträgen anzuhören ?< - Wie würden Sie darauf reagieren?«
»Das klang aber überzeugend. Sprechen Sie aus Erfahrung?« Sara merkte an Lucs Gesichtsausdruck, dass sie einen wunden Punkt bei ihm berührt hatte. »Haben Sie selbst einmal Mitglieder geworben?«
»Und wenn ich es getan hätte?« Luc nahm die Hand von Saras Schulter. »Ich frage ja nur. Wenn jemand so zu mir reden würde, könnte ich mich eventuell entschließen, aus Neugier hinzugehen ...« Vor allem wenn es ein Mann wie du wäre, der mich anspricht, dachte Sara bei sich. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich mich in etwas so Absurdes stürze, auch wenn ich mir noch so viele Vorträge angehört habe?«
»Das sagen die Leute auch, wenn sie Drogen probieren.« Luc ging energischen Schrittes weiter.
»Ein lächerlicher Vergleich. Wie gehen die Kulte bei der Rekrutierung dann weiter vor?«
»Normalerweise werden Klassifizierungen vorgenommen. Gleich nach dem ersten Gespräch wirst du eingestuft. Oft benutzen sie dabei vier Kategorien: bist du jemand, der denkt, fühlt, handelt oder glaubt. In der weiteren Arbeit wird dann der Klassifizierung gemäß vorgegangen. Bist du eine Denkerin, wird eine intellektuelle Annäherungsform eingesetzt. Dem fühlenden Menschen wird mit Liebe und Fürsorge begegnet, damit er das Gefühl bekommt, Mitglied einer Familie zu sein. Beim Handelnden wirken konkrete, praktische Aufgaben.«
Luc blickte im Gehen kurz auf Sara, bevor er weitersprach. »Sie würden als Handelnde klassifiziert werden. Die Glaubenden wiederum suchen spirituelle Werte für ihr Leben, und ihnen nähert man sich darum auf dieser Schiene.«
»Der größte Teil derjenigen, die sich für Sekten interessieren, sind doch bestimmt solche Glaubenden?«
»Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Tatsächlich sind die meisten Handelnde oder Fühlende. Wenn sich beim ersten Gespräch auch noch herausstellt, dass du dich in einer Stresssituation befindest oder an einem Wendepunkt in deinem Leben, wirst du zum wirklich interessanten Objekt.«
Sie blieben an der Ampel vor dem Kaufhaus
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