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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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eingerahmten Fotos neben der Lampe. Darauf standen sein Großvater, sein Vater und Radovan in Uniform nebeneinander, hinter sich das Schloss von Banje. Vasa konnte sich gut an jenen Tag erinnern. Radovan hatte gerade die Militärakademie von Belgrad absolviert und damit die Träume seines Vaters und seines Großvaters erfüllt. Die ehrenhafte soldatische Tradition der Familie wurde fortgesetzt.
    Sie war fortgesetzt worden bis zum gestrigen Tag.
    Vasa betrachtete das Foto genauer. Der Vater hatte verlangt, dass die ganze Familie zu dem Schloss fuhr, das ihr einst gehört hatte, um sich fotografieren zu lassen. Die Mutter hatte eifrig Bilder gemacht, während Vasa und Mila das Posieren der Männer beobachteten. Den leeren Ärmel hatte der Großvater zwischen die Knopfreihe der Jacke geschoben. Er war im Kampf gegen die Deutschen verwundet worden. Auch der Vater des Großvaters hatte gegen die Deutschen gekämpft, freilich im Ersten Weltkrieg. Davor waren die Türken die Gegner gewesen.
    Vasa erinnerte sich an jenen Tag auch deshalb so gut, weil er damals seinen Vater zum ersten Mal froh und befreit gesehen hatte. Umso schwerer schössen Vasa nun wieder die Ereignisse des Vortags in den Sinn. Die Anerkennung seines Vaters hatte er nun ein für allemal verloren, und seinen Bruder würde er nie wieder sehen.
    Das Schlimmste daran: Alles war seine Schuld. Hätte er sich nicht im entscheidenden Moment von der Geisel überraschen lassen, wäre Radovan noch am Leben. Hätte er an die Medikamente seines Vaters gedacht, wäre sein Vater jetzt womöglich frei - und mit Radovan auf dem Weg nach Serbien, nach Hause, so, wie es der ursprüngliche Plan vorsah. Plötzlich erschrak Vasa durch ein Geräusch an der Tür. Jemand drehte den Schlüssel im Schloss. Instinktiv machte er zwei Schritte auf ein mögliches Versteck zu, hielt dann aber inne. Es war das Klügste, sich möglichst normal zu verhalten, ganz gleich, wer der Eindringling war. Zwei Polizisten in Uniform traten ein. Überrascht hielten sie inne, als sie Vasa sahen. Beide legten die Hand auf die Futterale ihrer Waffen und fassten Vasa wachsam ins Auge.
    »Wer sind Sie?«, fragte einer der Polizisten. Man hörte den Schrecken in seiner Stimme.
    »Was, um Himmels willen, macht die Polizei in der Wohnung meines Bruders ?«, fragte Vasa zurück, bemüht, möglichst echten Ärger durchklingen zu lassen.
    Die Männer sahen sich an. Dann schaltete einer von ihnen das Deckenlicht an und trat näher. »Sie sind also Vasa Jankovic?« »Würden Sie mir sagen, worum es geht?«
    Die Polizisten zögerten und warfen sich erneut einen Blick zu. »Wir haben versucht, Sie zu erreichen«, sagte der Ältere der beiden Uniformierten.
    »Ich war den ganzen Tag zu Hause und habe für eine Prüfung gelernt. Dabei schalte ich immer das Telefon aus. Ich habe es erst vor kurzem wieder eingeschaltet.«
    »Wieso sind Sie gerade jetzt zufällig in der Wohnung Ihres Bruders?«, fragte der Polizist misstrauisch.
    »Wir wollten heute Abend Karten spielen. Als niemand aufmachte, bin ich mit meinem Schlüssel hereingekommen.«
    »Wo waren Sie gestern?«
    »Ich war viel unterwegs, unter anderem bei meiner Schwester... Was wollen Sie eigentlich?«
    Wieder sahen sich die Polizisten unsicher an. Dann sagte der Ältere: »Ihr Bruder ist in Finnland ums Leben gekommen.« Während er sprach, achtete er genau auf Vasas Reaktion.
    Vasa starrte ihn ungläubig an und ließ sich dann in einen Sessel sinken. Er vergrub das Gesicht in den Händen.
    Mit einem Seitenblick auf seinen Kollegen sagte der Polizist: »Es tut mir leid.«
    »Wie konnte das ... Was ist in Finnland passiert?«
    »Ihr Bruder hat versucht, unter Anwendung von Gewalt Ihren Vater aus dem Gefängnis zu befreien. Er starb bei einem Schusswechsel mit der Polizei.«
    »Das kann nicht wahr sein«, murmelte Vasa, noch immer mit den Händen vor dem Gesicht. »Radovan hat ein paarmal davon gesprochen ... Ich hätte nicht geglaubt, dass er es ernst meint, ich dachte, er spielt sich nur auf...«
    Vasa blickte kurz durch die offene Tür ins Nebenzimmer und sah, dass der Computer fehlte. Vermutlich hatte die Polizei auch andere Dinge, die sie für ermittlungstechnisch relevant hielt, abtransportiert. »Was ist in Finnland vorgefallen?«
    »Man wird sich bald mit Ihnen in Verbindung setzen. Wir verfügen über keine genaueren Informationen.«
    Das ist eine Lüge, dachte Vasa. Aus taktischen Gründen hielten sie es für klüger, ihm nichts zu sagen.
    »Dürfte ich

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