Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
Staaten hatten die Aufnahme von Kriegsverbrechern in ihren Gefängnissen verweigert, doch Finnland, der Musterschüler der EU, tat wieder einmal, worum er gebeten wurde, dachte Johanna.
Von Oberst Jankovic waren nun keine Informationen mehr zu erwarten. Er war nicht kooperationsbereit. Für Johanna schien der Mann von der Trauer gebrochen zu sein, auch wenn er seine Verzweiflung durch Härte zu kaschieren versuchte.
»Ich habe dir per E-Mail ein Dokument über Jankovics Kinder geschickt, es kam aus Stockholm«, sagte Hedu.
»Gut«, entgegnete Johanna.
Bekannt war bereits, dass Borislav Jankovic außer Radovan zwei weitere Kinder hatte, den 26-jährigen Vasa und die 24-jährige Mila. Über seine Frau oder andere Verwandte wusste man nichts.
Wieder klopfte es an der Tür, und eine athletische Frau mit Stoppelhaarschnitt trat ein.
»Wegen des Autos«, sagte Kriminalinspektorin Lilja Vuokko. »Der Nissan Maxima wurde am Tag vor dem Fluchtversuch in Hyvinkää gestohlen, und die Nummernschilder in Klaukkala. Im Wagen sind eine Menge Fingerabdrücke gefunden worden, die gerade mit den Abdrücken des Besitzers, des Obersts, Radovans und der Geisel abgeglichen werden.«
»Bloß dass die Entführer laut Heli Räsänen dünne Lederhandschuhe getragen haben«, merkte Johanna an.
»Ich geh ins Labor«, sagte Vuokko und verschwand, gefolgt von Hedu. Heli Räsänen war bereits vorläufig vernommen worden, aber sie konnte sich nur an wenige Dinge erinnern, die auf die Spur des Entkommenen führen könnten. Zum Glück bestand bei ihr nicht mehr die Gefahr einer Lähmung, allerdings war das Risiko einer Frühgeburt nach wie vor groß. Für Johanna war es außerordentlich wichtig, den noch lebenden Geiselnehmer für seine Tat zur Verantwortung zu ziehen.
Dieser schien nämlich der aktivere Beteiligte gewesen zu sein. Er hatte die Verhandlungen geführt und war, so Heli Räsänen, auch für den Ablauf der Operation zuständig gewesen.
Johanna hatte sich die Aufnahme des Telefongesprächs zigmal angehört. Das Band wurde auch von einer Frau an der Universität, die Serbisch konnte, sowie von zwei Linguisten, deren Hilfe die KRP früher schon in Anspruch genommen hatte, analysiert.
Wenn einer der beiden Männer, die versucht hatten, den Oberst zu befreien, sein Sohn war, konnte der andere dann ebenfalls ein Sohn des Obersts sein?
Vasa Jankovic. Das war eine Möglichkeit, die in Stockholm überprüft werden musste.
Johanna öffnete das Dokument, das Hedu erwähnt hatte. Es enthielt so gut wie nichts Neues - lediglich die bereits bekannten Informationen in etwas anderer Form. Die Aktivitäten der schwedischen Polizei hatten Johanna noch nie sonderlich beeindruckt.
Sie nahm nun eine Internet-Recherche zu Vasa Jankovic vor. Auf dem Bildschirm erschienen mehrere Zeitungsartikel, die er geschrieben hatte und die hauptsächlich mit dem Kosovokrieg zu tun hatten. Johanna klickte einen davon an. Er befasste sich mit der Beteiligung des Internets am Propagandakrieg während der Kosovo-Krise.
Johanna überflog den in >Svenska Dagbladet< veröffentlichten Artikel. Er wirkte sachlich, ohne Eifer und langweilig. Die Verbreitung von Desinformation wurde aus mehreren Blickwinkeln behandelt. Über den Verfasser hieß es am Ende: Vasa Jankovic studiert Politik an der Universität Stockholm. Er untersucht den Kosovo-Konflikt als Propagandakrieg.
Radovans Bruder schien ein ungefährlicher Schreibtischtäter zu sein. War in Riihimäki also jemand aus dem rigorosen Umfeld des Obersts vom Balkan am Werk gewesen ? Auf jeden Fall musste versucht werden, von dort mehr Informationen zu bekommen. Das war eine internationale Geschichte, darüber bestand kein Zweifel. Timo Nortamo von der TERA hatte bereits Kontakt mit dem Leiter der Ermittlungen gehabt. Besagte TERA, die Agence pour la lutte contre le Terrorisme, Extrémisme et Radicalisme, war die Anti-Terror-Einheit der EU und hatte in Brüssel ihr Hauptquartier. Sie war an der Operation der EU-Truppen, die in der Festnahme Jankovics in Srbica gegipfelt hatte, beteiligt gewesen. Johanna hatte schon früher mit Timo zusammengearbeitet, darum beschloss sie, ihn anzurufen. Der Mann war einst bei der Sicherheitspolizei und bei der KRP gewesen, hatte als Verbindungsmann in Russland gearbeitet und saß jetzt als Vertreter Finnlands bei der TERA.
Seine Persönlichkeit spaltete die Meinungen innerhalb der Polizeiorgane - die einen hielten ihn für robust und zielstrebig, die anderen für stur und allzu
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