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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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das Lenkrad. Warum wurden auch in den schwedischen Nachrichten Lügen verbreitet? Das war kein Schusswechsel gewesen! Aber das würde er allen noch klarmachen.
    Noch mehr jedoch schmerzte ihn das Wissen um die schwere Verletzung der Geisel. Zum Glück hatte die Frau wenigstens überlebt - im Gegensatz zu Radovan.
    Der Gedanke an seinen Bruder trieb Vasa die Tränen in die Augen. Er musste tief durchatmen, um seine Gefühle im Zaum zu halten. Es war unmöglich zu verstehen, dass Radovan nicht mehr lebte. Vasa erinnerte sich an die Sommer seiner Kindheit im Kosovo, an die glücklichste Zeit seines Lebens, Ende der 8oer Jahre. Seine frühesten Erinnerungsbilder stammten aus Pristina, wo seine Mutter ihn in ihrem Atelier Modell sitzen ließ. Er erinnerte sich an ihre prüfenden Blicke über den Rand der Staffelei hin weg, an den Geruch der Ölfarben und an Mutters wirre Haare, die im Licht aus dem Dachfenster golden schimmerten. In jenem Sommer hatte sie von jedem ihrer Kinder ein richtiges Bild gemalt, und vom Vater ebenfalls, gerade so, als hätte sie geahnt, dass alles einmal zersplittern würde.
    Immer dunklere Wolken hatten sich damals über Jugoslawien zusammengezogen. Vasa wusste noch, wie sein Onkel blutüberströmt zu ihnen gebracht worden war, nachdem es bei einer Demonstration in Kosovo Polje zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei gekommen war. Jetzt lebte der Onkel nicht mehr, auch die Mutter war tot, und Jugoslawien existierte nicht mehr. Vasas Kindheit war mit dem Zerfall des Staates und den damit verbundenen Kriegen, die alles zerstörten, jäh zu Ende gewesen. Im Gegensatz zu seinem Vater und Radovan hatte Vasa nicht an der Verteidigung seines Zuhauses und seiner Heimat teilgenommen, aber an der Universität hatte er den gesamten Prozess bis zu den Wurzeln erforschen wollen, um die Ursachen und die Wirkungen freizulegen, als könnte das Verstehen der Scherben einer zersplitterten Welt etwas von der Vergangenheit zurückbringen oder reparieren. Nun lebte auch Radovan nicht mehr. Am liebsten wäre Vasa direkt zu Mila gefahren. Seine Schwester erschien ihm plötzlich wichtiger denn je, auch wenn sie sich in den letzten Jahren immer mehr voneinander entfernt hatten. Aber sie waren jetzt nur noch zu zweit.
    Ob Mila jedoch so sentimental war wie er? Ob sie bereit wäre, die Polizei anzulügen? Könnte sie es überhaupt? Vasa hatte Radovan immer wieder ermahnt, aufzupassen und sorgfältig vorzugehen, aber er selbst hatte einen primitiven Fehler begangen, indem er sein Alibi auf Mila gebaut hatte.
    Allmählich machte Vasa die Kontaktaufnahme der Polizei ernsthaft Angst.
    Er fuhr über die Brücken von Hammarby in das Gewerbegebiet Johanneshov und parkte den Wagen im Hof von Tomas Reifenhalle. Jetzt am Abend standen nur ein alter Saab und da neben ein Sportcoupe Marke Chrysler im Hof. Das musste Slobos neues Auto sein. Wenn sie einmal auffliegen würden, dann wegen solcher geschmacklosen Anschaffungen.
    Auf einmal spürte Vasa einen wachsenden Groll gegen die ganze Gruppe. Seine Freunde kamen ihm fast widerwärtig vor. Sie dachten an nichts anderes mehr als an Geld und wie sie es bekommen könnten. Trotzdem trug er auch für sie Verantwortung. Die Polizei konnte ihm durchaus bald auf den Fersen sein, und dann würde er unweigerlich seine Freunde in Gefahr bringen. Wäre es also nicht das Beste, zu verschwinden und irgendwo in Sicherheit seine Wunden zu lecken?
    Er wollte schon wieder zu seinem Wagen umkehren, aber dann geriet er ins Zögern. Was war los mit ihm? Wollte er seinen Vater etwa in dem finnischen Gefängnis vergessen und kapitulieren? Handelte so einer aus dem Clan der Jankovics?
    Nein. Ganz gewiss nicht.
    Im selben Moment begriff Vasa auf ganz neue Weise die Einstellung seines Vater ihm gegenüber. Sie war den Gedanken sehr ähnlich, die er selbst gerade über seine Freunde gehabt hatte. Sein Vater glaubte, er, Vasa, verleugne seine Wurzeln. Musste der Vater nicht spätestens jetzt glauben, dass dies überhaupt nicht stimmte?
    Vasa riss die Tür auf und ging wütend zwischen hohen Reifenstapeln auf die Metalltür am Ende der Halle zu. Dort klopfte er im vereinbarten Rhythmus an. Die anderen hatten wahrscheinlich längst die Nachrichten über die Ereignisse in Riihimäki gehört.
    Nach kurzer Stille ging die Tür auf, und vor Vasa stand ein kleiner, kräftiger Mann mit rundem Gesicht und gewellten schwarzen Haaren. Danilo schaute Vasa schweigend in die Augen, dann riss er einen Revolver aus der

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