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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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werden.
19
    Johanna leerte im Schlafzimmer ihrer Wohnung in Helsinki ihren Koffer und telefonierte dabei. Am Stockholmer Flughafen Arlanda hatte sie sich einen Flakon Lolita Lempicka gekauft und gleich etwas davon auf den Hals gesprüht. Düfte waren der einzige Luxus, bei dem sie keine Abstriche machte.
    »Laut Nortamo besteht kein Zweifel daran, dass Vasa Jankovic nicht ganz koscher ist«, sagte Johanna zu Hedu. Ihr Chef hatte die Verdachtsmomente gegen Vasa trotzdem nicht für stark genug gehalten, um ihm die Besuchserlaubnis bei Borislav Jankovic zu verweigern. 4 »Die Sicherheitsmaßnahmen in Kakola sind schon immer streng gewesen, und jetzt sind sie es erst recht«, sagte Hedu beschwichtigend.
    »Ich glaube auch nicht, dass sie den Oberst jetzt gleich wieder herausholen wollen«, erwiderte Johanna und warf die schmutzige Wäsche auf einen Haufen. »Aber ihr müsst auf Band aufnehmen, was die beiden reden, es kann sein, dass wir dadurch etwas erfahren.« Zur Abwechslung hatte Hedu auch eine gute Nachricht: Heli Räsänen war auf dem Weg der Genesung, die Gefahr einer Frühgeburt bestand nicht mehr, und Angst vor einer Lähmung musste sie auch nicht mehr haben.
    Nach dem Telefonat steckte Johanna die Wäsche in die Maschine, schloss die Luke und schüttete so achtlos Waschpulver in das dafür vorgesehene Fach, dass eine gehörige Portion auf dem Boden landete. Wütend auf sich selbst befeuchtete sie zähneknirschend etwas Toilettenpapier und wischte das Pulver auf.
    Vasa schaute seinen Vater an, der im Krankenzimmer der unter dem Namen »Kakola« bekannten Justizvollzugsanstalt Südwestfinnland im Ruhesessel saß. Der Pfleger hatte ihm ein Medikament gespritzt und ihn dann mit dem Besucher allein gelassen. Allerdings stand ein Wächter vor der Tür, und auch sonst schien das gesamte Gefängnispersonal auf der Hut zu sein.
    Vasa wusste, dass er auf dünnem Eis ging. Er bereute bereits das Risiko, das er mit seinem Besuch einging. Aber es war wichtig, den Vater zu sehen. Er hätte es sich nie verziehen, wenn die Verfassung seines Vaters schlechter geworden wäre und er es nicht mehr geschafft hätte, mit ihm über bestimmte Dinge zu reden. Ärgerlich nur, dass aller Wahrscheinlichkeit nach jedes ihrer Worte aufgezeichnet wurde. »Sorge dafür, dass auf Radovans Grabstein der Vers kommt, den er als kleiner Junge immer aufgesagt hat«, sagte der Vater mit für seine Verhältnisse ungewöhnlich sanfter Stimme.
    Vasa nickte. Er wollte nicht reden, denn er hatte Angst, seine Stimme könnte ihm versagen. Radovan hatte sich als Kind mythische Worte aus der Sage von Kosovo Polje, dem Amselfeld, angeeignet, von denen behauptet wurde, sie stammten von Fürst Lazar. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit hatte er sie aufgesagt.
    »Hast du sonst alles organisiert?«, fragte der Vater.
    Vasa räusperte sich. »Ja. Mach dir keine Sorgen, konzentriere dich darauf, dass du wieder zu Kräften kommst.«
    Der Vater sah ihn plötzlich scharf an und sagte leise: »Sag Veljiko, er soll schauen, wer zum Begräbnis kommen soll und wer besser nicht.« »Wie erreiche ich ihn?«
    »Über Branislav. Gebrauch deinen Verstand. Bring die Nachricht dorthin, wo du dich mit Radovan gestritten hast, als wir aus Pec kamen.« Vasa nickte rasch. Jetzt kamen sie auf vermintes Gelände, auf dem sich Vasa zuvor nicht bewegt hatte - und wo er auch jetzt nicht unbedingt hinwollte. Da Radovan nicht mehr war, kamen ganz neue Dinge auf Vasa zu. Zuvor hatte er sich nicht für die in die Enge getriebenen Offiziere interessiert, auch nicht für das serbische Netzwerk, das sie schützte, oder für ihre Verstecke und Zufluchtsorte. Bis jetzt hatte er seine Augen sogar vor der eigentlichen Kernfrage verschließen können: Was hatte sich sein Vater zu Schulden kommen lassen? Trug er überhaupt eine Schuld? Vasa hatte Radovans Beteuerungen geglaubt, weil er daran glauben wollte. Jetzt war die Situation eine andere. Jetzt musste er selbst entscheiden, was die Wahrheit war.
    Timo zahlte in der TERA-Kantine im Brüsseler Stadtteil Ixelles sein Mittagessen. Auf seinem Tablett prangten ein Teller Gemüsesuppe, eine Scheibe Brot ohne Butter und ein Glas Wasser. Er hatte beschlossen, die ersten Anzeichen von Gewichtszunahme gleich im Keim zu ersticken. Kurz zuvor hatte er aus Neugier in Kakola angerufen und erfahren, dass die Jankovics eine Stunde lang miteinander geredet hatten. Der Mitschnitt war gerade auf dem Weg zur Übersetzung. Timo würde der Text in wenigen Tagen

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