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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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vorliegen.
    Widerwillig steuerte er mit seinem Tablett den Tisch von Bengt Malmsten an. Der schwedische TERA-Vertreter war ein großer, dünner Mann aus der südschwedischen Provinz Schonen, der wie viele seiner Landsleute ein Faible für Sitzungen aller Art hatte.
    »Viele Grüße von Mama Svea«, sagte Timo auf Schwedisch. »Danke, Timo«, erwiderte Malmsten, erfreut, seine Muttersprache zu hören. »Hat sich etwas geklärt?«
    »Nichts Umwälzendes«, fuhr Timo auf Englisch fort und fing lustlos an, seine Suppe zu löffeln. »Außer dass es allen Grund gibt, sich eingehend mit Vasa Jankovic zu befassen. Navarro kann aber keine Ressourcen dafür bereitstellen.«
    Während des Essens ging Timo die Ereignisse von Stockholm durch. Anschließend rief er von seinem Büro aus Johanna in Helsinki an. Sie war fest der Meinung, dass Vasa Jankovic an der Befreiungsaktion des Obersts beteiligt gewesen war - und dass er erneut einen Befreiungsversuch unternehmen würde.
20
    Während der gesamten Fahrt von der Haftanstalt in Turku nach Helsinki war Vasa tief in Gedanken versunken gewesen. Nun stand er auf dem Marktplatz der finnischen Hauptstadt, trank heißen Kaffee und richtete den Blick über die Marktstände und die Zeltcafes mit ihren orangen Dächern auf das im Hintergrund erkennbare Gebäude. Eine gleichmäßig graue Wolkendecke überzog den Himmel, und ein ähnlicher Farbton wiederholte sich in der Fassade des Präsidentenpalais.
    Es war ein außergewöhnliches Gefühl, zum ersten Mal ein Gebäude mit eigenen Augen zu sehen, dessen Räume man schon in- und auswendig kannte. Staatssaal, Spiegelsaal, Gelber Saal. Vasa wusste, was sich hinter jeder Fensterreihe befand, welches der kürzeste Weg von einem Eingang zum anderen war, wo sich die Räume befanden, zu denen nur das Personal Zutritt hatte.
    Vasa trank seinen Kaffee aus und ging auf die Residenz zu. Er fühlte sich stark und voller Energie, er spürte das Leben in jeder einzelnen Körperzelle. Er hatte eine Herausforderung vor sich, eine Aufgabe - und einen Feind. So, wie die Männer aus dem Geschlecht der Jankovics in allen Generationen ihren Feind gehabt hatten. Vasa verstand zum ersten Mal, warum ihn die bisherigen Raubüberfälle eher frustriert hatten: Ihnen hatte die tiefere Bedeutung gefehlt, sie waren einfach durchgezogen worden.
    Vasa achtete auf die angemessene Geschwindigkeit beim Gehen, er trödelte nicht, ging aber auch nicht zu schnell. Während er das Tor der Residenz passierte, ließ er durch die Gitter hindurch den Blick über den Hof wandern, wo ernste Soldaten regungslos Wache standen. Zugleich registrierte er die Aufhängung des Tores, die Stärke der Metallkonstruktion. An der Ecke bog er in die Mariankatu ein, wo ihm die hohe Bordsteinkante vor dem Seiteneingang zur Residenz auffiel.
    Er ging die Mariankatu bis zur nächsten Ecke der Residenz nach Norden, dann bog er rechts ab, spazierte die wenigen Meter bis zum Ufer, überquerte eine flache Brücke und wartete schließlich an einer Haltestelle zu Füßen der orthodoxen Kathedrale auf die Straßenbahn. Wegen seines maritimen Charakters erinnerte Helsinki an Stockholm, aber ansonsten herrschte hier eine ganz andere Atmosphäre als in der schwedischen Hauptstadt. In Helsinki gab es nur wenige Ausländer, und die Sprache errichtete eine gläserne Wand zwischen Vasa und der Umgebung. Vielleicht war es aber auch das Verhalten der Einwohner, das eine Wand errichtete - und zwar eine aus Eis. Die fünf, sechs anderen Leute, die mit Vasa an der Haltestelle standen, sahen weder Vasa noch einander an, jeder war in seiner eigenen Wirklichkeit eingeschlossen. In Vasas Jackentasche klingelte das Handy. Er schaute auf das Display. Unbekannte Nummer.
    Es meldete sich Johanna Vahtera von der Zentralen Kriminalpolizei. Vasa zuckte zusammen. Wieder die Frau, die mit ihm in Riihimäki verhandelt hatte.
    »Ich habe gehört, dass Sie in Turku waren«, sagte sie auf Englisch. »Und weiter?«
    Vasa wusste, dass der Verzerrer seine Stimme bei der Geiselnahme verändert hatte, aber dennoch sprach er intuitiv möglichst leise und langsam, eben völlig anders als in Riihimäki.
    »Fliegen Sie über Helsinki nach Stockholm zurück? Könnten wir uns kurz treffen?«
    Vasa überlegte kurz, dann log er: »Ich bin noch in Turku, fliege von hier aber direkt nach Stockholm. Ehrlich gesagt bin ich ein bisschen spät dran, könnten Sie vielleicht morgen noch einmal anrufen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, brach Vasa das Gespräch

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