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Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
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Zerstreutheit, blies Johanna die Kerze aus. Dabei spritzte Wachs auf den Vorhang.
    Jasmin Ranta spielte nervös mit der Fernbedienung des Fernsehers. Mit einem Knopfdruck machte sie die Uhrzeit auf dem Bildschirm sichtbar. Eine Minute vor neun.
    Die herausgeputzten Festgäste posierten vor den Kameras wie Pfaue. Jasmin erkannte mehrere Bekannte ihrer Eltern wieder.
    Ihr Großvater hatte sich den Empfang immer mit strengem Blick angeschaut und darüber geklagt, wie wenige Kriegsveteranen von seinem Schlag dort vertreten seien, obwohl ihnen das ganze Verdienst für die Unabhängigkeit zukomme.
    Jasmin dachte oft an ihren Opa, viel öfter als an ihre Adoptiveltern. Ihnen gegenüber empfand sie nichts, weder Liebe noch Hass. Die beiden existierten einfach nicht mehr für sie.
    Wesentlich realer waren da schon ihre biologischen Eltern, obwohl sie nichts von ihnen wusste. Jasmin hatte sich jedoch ihr eigenes Bild von ihnen gemacht, sogar wie sie aussahen, hatte sie sich vorgestellt. Ihr Vater hatte ihre Augen, ihre Mutter ihre Haare. Als in der Schule einmal alle Schüler einen Vortrag über einen Staat halten mussten, hatte sie Rumänien gewählt. Niemand in der Schule hatte von ihrer Adoption gewusst, sogar der Lehrer hatte sich gewundert, wie viel sie über die Geschichte und Geografie Rumäniens wusste. Zu Hause hatte sie in einem dicken Ordner Zeitungsausschnitte über das Land gesammelt. Ihre Adoptiveltern hatten ihn entdeckt und waren traurig gewesen. Sonst nichts, nur traurig. Dann wurde über das Thema nicht mehr geredet. Als Kind war sie mit ihren Adoptiveltern in Kenia, Frankreich, in den USA, in Thailand, England und wer weiß wo noch gewesen, aber nie waren sie nach Rumänien gefahren, obwohl Jasmin sich das gewünscht hatte. Je mehr sie über ihre »eigentliche Heimat« gesprochen hatte, umso bedrückter waren Vater und Mutter geworden.
    Vor zwei Jahren hatte sie dann endlich Rumänien besucht, aber die Reise war eine herbe Enttäuschung gewesen. Sie hatte keine besondere Verwandtschaft mit den Menschen und dem Land empfunden. Ihr Gefühl, nirgends verwurzelt zu sein, und der Wunsch, etwas Neues zu finden, waren dadurch nur noch gesteigert worden.
    Jasmin fuhr aus ihren Gedanken hoch und sah auf die Uhr.
    21:02.
    Sie hatte überlegt, sich während der Stunde X in die Nähe der Residenz zu begeben, aber Vasa hatte es ihr verboten. Dort hätte sie nicht helfen können.
    Vasa hatte Recht.
    Jasmin stand auf und ging zu dem Fernglas, das sie auf einem Stativ angebracht hatte.
    Der mit verchromten Stoßstangen und Scheinwerferschutz ausgerüstete Toyota-Geländewagen bog um 21:03 Uhr von der Liisankatu in die Mariankatu ein. Hinter den verdunkelten Scheiben war im Licht der Straßenbeleuchtung nichts zu erkennen -nicht die zwei Männer und nicht die schweren Rucksäcke im Fußraum des Beifahrers, der wegen des Gepäcks seinen Sitz so weit wie möglich nach hinten geschoben hatte. Nach der Kreuzung hielt Torna die Geschwindigkeit bei fünfzig Stundenkilometern, obwohl sie wegen der leicht abschüssigen Straße von selbst zunehmen wollte. Wieder einmal schmerzten ihn die fehlenden Zehen am rechten Fuß. Es war die Kälte, die das verursachte. Aber Torna biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich aufs Fahren. Der Schnee gefror auf der Straße. Bis zum Objekt waren es noch vierhundert Meter.
    »Die Zwei«, meldete sich Stankos Stimme im Ohrhörer.
    »Die Zwei«, antwortete Torna.
    Sie hatten gleichzeitig mit Stanko und Zlatan den zuvor vereinbarten Kontrollpunkt zwei passiert. Das war perfekt.
    »Wir sind zu wenige«, wiederholte Slobo auf dem Beifahrersitz noch einmal, was er zuvor schon gesagt hatte.
    »Das ist überhaupt kein Problem«, entgegnete Torna ruhig, aber sein Gesichtsausdruck verriet versteckte Nervosität.
    Sie hatten von Vasa eine Nachricht erhalten: Er und Danilo waren erwischt worden. Aber sie würden ohne die beiden hineingehen. Ihre erste Forderung wäre dann Vasas und Danilos Freilassung, und danach wäre die Unterbesetzung wieder wettgemacht. Anschließend würde es plangemäß weitergehen. Die Aktion in dieser Phase abzublasen, konnte keine Alternative sein.
    Torna opferte nicht eine Minute, um sich zu überlegen, warum Vasa erwischt worden war. Hauptsache, die Polizei wusste nichts von der Aktion.
    Oder wusste sie doch etwas? Eine kleine Unsicherheit nagte an Torna, aber er versuchte, sich auf den Moment zu konzentrieren. Jetzt ging es erst einmal darum, Vasas und Danilos Fehlen im

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