Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
übers Gesicht, aber er traute sich nicht, sie abzuwischen. Die Luft im Staatssaal war heiß und stickig. Ein Komplize des Mannes, der die Waffe auf Rutanen richtete, dirigierte mit seiner Maschinenpistole die Festgäste und zerrte sie rigoros dorthin, wo er wollte. Einige Gäste lagen zwischen Glasscherben auf dem Boden. Sie waren ohnmächtig geworden. Um sie herum waren Helfer in die Hocke gegangen. Einige der großen Gefäße mit Bowle waren umgekippt. Die Kleider mehrerer Gäste hatten Flecken von Kaffee und Kuchen, Glassplitter knirschten unter ihren Füßen, manche hatten sich geschnitten und bluteten. Ängstliche Paare hielten einander fest, und einige Gäste standen da, als hätten sie noch immer nicht begriffen, was geschehen war. Alles war so schnell gegangen. Auch Generaldirektor Rutanen hatte eine Weile gebraucht, bis er das über alle Maßen Entsetzliche der Ereigniskette erfasst hatte.
Langsam wandte er den Blick zu dem Geiselnehmer, der die Waffe auf seinen Kopf gerichtet hielt. Im Schlitz der Sturmhaube waren düstere, flackernde Augen zu sehen.
Rutanen schluckte. Seine Frau stand erstaunlich ruhig neben ihm. Freilich war Anna schon immer die Stärkere von ihnen beiden gewesen, wenn es einmal eng wurde.
Die Einladung zum Empfang des Präsidenten war als freudige Überraschung gekommen, auch wenn damit ein bisschen zu rechnen gewesen war, nachdem Rutanens Firma in dem Provinzstädtchen Kannus den Preis für Exportförderung erhalten hatte. Besonders Anna war über die Einladung begeistert gewesen. Sie hatte sich vorgestellt, wie die Nachbarn und alle Bürger des Städtchens grün vor Neid vor dem Fernseher saßen, während sie in funkelnder Abendrobe dem Präsidenten die Hand reichte.
Tatsächlich hatte der Abend großartig begonnen. Sie hatten dem Präsidenten beim Händedruck alles Gute zum Unabhängigkeitstag gewünscht, wie es ihnen geraten worden war. Unmittelbar hinter ihnen hatte eine prominente Parlamentsabgeordnete im grellen Abendkleid mit ihrem neuen Freund am Arm gestanden, weshalb die Rutanens sicher sein durften, dass sie wenigstens kurz im Fernsehen zu sehen sein würden.
Später hatte Rutanen sich mit dem Landwirtschaftsminister und zwei Abgeordneten der Zentrumspartei unterhalten und somit bedeutsame Kontakte für seine Firma geknüpft. Anna wiederum hatte die Gelegenheit gehabt, mit einer Schlagersängerin, die sie bewunderte, sprechen zu können. Die Bowle hatte sich allmählich in angenehmer Weise bemerkbar gemacht und Rutanen in heitere Stimmung versetzt. Er hatte sich gerade zu seiner Frau und dem Schlagerstar gesellt, als die bewaffneten Männer hereingestürmt kamen.
Einer von ihnen hatte mit der Maschinenpistole auf den mittleren Kronleuchter im Staatssaal gefeuert, und als die Glassplitter herabregneten, hatte Rutanen befürchtet, der ganze riesige Lüster würde ihnen auf den Kopf fallen. Einer der Angreifer hatte Rutanen am Arm gepackt und ihn mit Anna, dem Schlagerstar und zwei anderen Gästen zur Seite gezogen. Aus diesem Grüppchen hatte der Mann dann Rutanen ausgewählt, ihn gepackt und ihm die Maschinenpistole an die Schläfe gehalten.
Rutanens Blick fiel auf Anna. Sie war die Nächste in der Schlange der Hinrichtungsopfer. Er sah auf seine schlotternden Beine. Lange würde er sich nicht mehr aufrecht halten können.
Torna hielt seine Sig Sauer fest auf den Kopf des Finnen gerichtet. Er wusste nicht, wer der zitternde Mann war, aber das spielte jetzt auch keine Rolle.
»Zwei«, sagte Torna auf Serbisch in sein Ärmelmikrofon. In der Residenz nannten sie sich nicht beim Namen und vermieden es überhaupt, zu reden. »Sind die Ausgänge gesichert?«
»Ja. Alles dicht«, antwortete Slobos Stimme beinahe unbeschwert. »Drei und Fünf, treibt die Leute in Gruppen zusammen. Wir müssen dieses Gekreische und dieses Chaos in den Griff kriegen«, sagte Torna weiter. Er musste es beinahe schreien. Dann sah er auf die Uhr: noch vier Minuten.
Nachdem er der Polizei das Ultimatum mitgeteilt hatte, hatte Torna sein Handy ausgeschaltet. Er war nicht bereit, Erklärungen und Verzögerungen hinzunehmen. Die erste Geisel würde exakt in dem Moment erschossen, in dem das Ultimatum ablief. Allerdings glaubte er nicht, dass diese extreme Maßnahme notwendig werden würde. Falls doch, konnte Zlatan die schmutzige Arbeit erledigen.
Vasa lehnte das Töten ab, und Torna gefiel die Vorstellung auch nicht besonders. Aber es war die einzige effektive Methode, die Gegenseite davon zu
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