Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
erschrocken um. Er nahm seine Frau an der Hand. »Jetzt«, fuhr Vasa ihn an.
Premierminsterin Noronen hatte sich mittlerweile beruhigt und ging an der Seite ihres Mannes in den Spiegelsaal, der Präsident und seine Frau schlossen sich an. Vasa bedeutete Stanko, ihnen zu folgen, dann fuhr er plötzlich herum und feuerte auf die Gesetzes-Statue. Slobo, der inzwischen seine Sonnenbrille abgenommen hatte, beteiligte sich an der Schießerei, Danilo machte ebenfalls mit. Der Lärm, den die hohen Saalwände zurückwarfen und verstärkten, drohte die Trommelfelle zu ruinieren, und die Gäste hielten sich die Ohren zu.
Vasa hörte mit dem Schießen so abrupt auf, wie er angefangen hatte. Der Lärm klang in den Ohren nach. Die Festgäste standen bestürzt im Saal, die Blicke auf die demolierte Frau und den ebenso demolierten Löwen gerichtet. Als wäre nun das letzte Sakrileg begangen worden. »So, jetzt genau aufgepasst«, sagte Vasa zu dem Fernsehreporter, dessen Aufgabe ursprünglich darin bestanden hatte, prominente Gäste des Empfangs zu interviewen, und der jetzt scheinbar ruhig neben ihm stand. »Hier ist eine Liste der Gäste, die im Spiegelsaal bleiben. Alle anderen lassen wir im Eiltempo hinausmarschieren. Kennst du alle?« Der Reporter fing an, die Liste durchzugehen.
»Stell dich dort an die Tür«, sagte Vasa als Nächstes zu dem Kameramann, »und sorge dafür, dass alle an der Kamera vorbeigehen.« Der Kameramann machte sich auf den Weg, den Befehl zu befolgen. Niemand sah Vasa an, als er in die Schar der Festgäste trat. Dieselben Menschen, die zu Beginn des Abends versucht hatten, mit ihren Roben möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen, versuchten nun, so wenig wie möglich aufzufallen.
Das Aussehen und die Sprache der Leute waren Vasa fremd, und das Seelenleben der Finnen war ihm ein Rätsel. Die einzige Ausnahme bildete Jasmin - eine angenehme Ausnahme. Er merkte, dass seine Gedanken immer wieder zu ihr abdrifteten.
Er riss sich zusammen und ließ den Blick über die vor Schweiß glänzenden Gesichter um ihn herum schweifen. Ihm fiel das Medienmaterial ein, das er für seine Examensarbeit gesammelt hatte und bei dessen Übersetzung ihm Jasmin geholfen hatte. Am Donnerstag, dem 25. März 1999, einen Tag, nachdem das mächtigste Militärbündnis der Welt einen veritablen Krieg gegen einen europäischen Staat anfing, hatten die finnischen Boulevardblätter mit folgenden Schlagzeilen getitelt: »Satu und Jussi sind ein Paar«; »Werden Männer beim Frauentanztee diskriminiert?«; »Starregisseur Hardwick schwer depressiv«.
Das sagte alles über die Medien und die Menschen in diesem Land. Eigentlich hätte man glauben müssen, dass es mit dem mangelnden Interesse der Finnen am Kosovo so weitergehen würde, aber dem war leider nicht so gewesen. Stattdessen hatten die Finnen begonnen, sich einzumischen. Die größte Tageszeitung hatte das Volk belehrt: Die Entscheidung der Nato, im Kosovo anzugreifen, sei begründet und unausweichlich. Die Gründe waren freilich völlig andere als diejenigen, mit denen Bill Clinton in Washington die Einsätze rechtfertigte. Vasa ging am russischen Botschafter vorbei, den er von Fotos kannte, und blieb schließlich vor einem Finnen in Uniform stehen.
»Sind Sie der Oberkommandant der Streitkräfte?«
Der General sah Vasa in die Augen. »Der bin ich.«
»Was halten Sie davon, dass Finnland die Verantwortung für einen Sektor der KFOR-Operation unter Führung der Nato an sich gerissen hat?«
Der General sah ihn gelassen an. »Finnland hat nichts an sich gerissen. Man hat Finnland die Verantwortung übertragen.«
»Das war das erste Mal, dass ein Land, das nicht der Nato angehört, die Befehlsgewalt über einen operativen Sektor erhielt. Was sagt das Ihrer Meinung nach über das Verhältnis von Finnland zur Nato aus?« »Nichts.«
»Gehen Sie in den Spiegelsaal und leisten Sie dem Präsidenten und der Premierministerin Gesellschaft. Zum Zeitvertreib können Sie sich ja über die Notwendigkeit von finnischen Einsätzen in Krisengebieten unterhalten. Gehen Sie an der Kamera vorbei. Ihre Frau ebenfalls.« »Nicht meine Frau! Lassen Sie uns das als eine Sache unter Männern...« »Ihre Frau ebenfalls«, wiederholte Vasa und ging zu dem Reporter zurück, der noch immer die Liste studierte.
Unterwegs blieb er vor einer Frau mit tief ausgeschnittenem rotem Abendkleid stehen. »Sie kenne ich ... Sie sind Minsterin, oder?« Die Frau nickte schwach.
»Gehen Sie in den
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