Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln

Titel: Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geiseln
Vom Netzwerk:
Spiegelsaal!«
    Bei dem Reporter angelangt, blickte Vasa auf die Liste. Der Mann hatte an die zehn Namen angekreuzt. »Die kenne ich nicht. Aber meine Kollegin ...«
    »Deine Kollegin wird dir helfen, wir wollen daraus kein Problem machen. Fangen wir an.«
    Vasa gab Danilo und Slobo ein Zeichen, und die beiden sorgten dafür, dass die Leute der Reihe nach an Vasa, dem Reporter und dessen Kollegin, die hinzugekommen war, vorbeigingen.
    »Zeigt mir diejenigen, die auf der Liste stehen. Die gehen dann mit ihrem Partner an der Kamera vorbei in den Spiegelsaal. Die anderen gehen ins Atrium und werden von dort gruppenweise ins Freie geführt.« Noch während er sprach, betätigte Vasa die Tastatur seines Handys. Er rief Jasmin an, die nur wenige hundert Meter von der Residenz entfernt in der Bernhardinkatu vor dem Fernseher saß.
    »Hier kommen sie«, sagte Vasa leise.
    Der Reporter mit der Liste wirkte deprimiert, als wäre er gezwungen, eine Selektion vorzunehmen, gleich der in >Sophies Entscheidung^ Wer darf leben, wer muss sterben?
    »Bewegung!«, rief Danilo nur wenige Meter entfernt und schob die Menschenmenge in Richtung Tür.
    An Vasa und den Reportern gingen mehrere alte Leute vorbei, ein Teil wurde im Rollstuhl geschoben. Die meisten trugen reihenweise Orden an der Jacke. Das waren die Kriegsveteranen. Sie wurden nach draußen expediert, ebenso wie der serbische Botschafter und seine Frau, das Personal der Residenz, die Kadetten, fast alle Journalisten und Fotografen, die Adjutanten des Präsidenten, die Sicherheitsleute, Schauspieler, Sänger, andere Kulturschaffende, Sportler und gewöhnliche Bürger, die aus irgendeinem Grund eine Einladung erhalten hatten.
    Nervös und möglichst unauffällig zeigte der Reporter auf einen Mann im Frack und sagte fast flüsternd zu Vasa: »Das ist der Finanzminister...« »Dann in den Saal mit ihm. Die Frau ebenfalls.«
    Mit dem Telefon am Ohr verfolgte Jasmin konzentriert die Übertragung. Die Leute huschten so schnell an der Kamera vorbei, dass sie sich anstrengen musste, um bei dem Tempo mitzuhalten.
    Die großen Fische bekämen sie auf alle Fälle in den Kescher, die würden nicht mit dem gemeinen Volk hinausschlüpfen. Damit hatte Vasa sie getröstet, als Jasmin die Befürchtung geäußert hatte, ihre Aufgabe nicht erfüllen zu können. Sie hatte sich sorgfältig darauf vorbereitet, hatte stapelweise Illustrierte durchforstet, hatte im Internet recherchiert und im finnischen >Who is Who< gelesen. Obwohl sie seit zwei Jahren nicht mehr in Finnland lebte, hatte das ihre Recherche kaum erschwert. Die Kreise, die das Land in Schwung hielten, waren fast unverändert dieselben geblieben. Die Creme de la Creme war dick, aber knapp. In diesem Augenblick war das für Jasmin nur positiv.
34
    Johanna starrte im gedämpften Licht des Übertragungswagens auf den Monitor. Gedemütigte, ängstliche Menschen gingen an der Kamera vorbei. Unmittelbar danach teilte sich die Reihe. Die wichtigsten Gäste gingen in den Spiegelsaal weiter: der Parlamentspräsident, die Minister, Parlamentsabgeordnete, Wirtschaftsbosse, hohe Beamte, die bedeutendsten Botschafter.
    Beim Anblick von Personen, die sie kannte, zuckte Johanna zusammen. Kai Sarimo, der Chef der KRP, trug die Ausgehuniform der Polizei. Unmittelbar hinter ihm ging Nykänen, der Polizeidirektor im Innenministerium. Auch die Diplomaten der größeren Länder blieben als Geiseln in der Residenz. Johanna erkannte die amerikanische Botschafterin, eine streng wirkende Dame, in deren weinrotem Kleid Johanna nicht stecken mochte, wenn Vasa Fragen nach dem Kosovokrieg stellte. Aber hatte Vasa überhaupt politische Motive?
    Um den Oberst freizupressen, hätte es keiner Aktion dieser Größenordnung bedurft. Andererseits war es mit dem rationalen Denken schnell vorbei, wenn Emotionen ins Spiel kamen. Und um Emotionen war es auch bei dem Familiendrama der Jankovics in Riihimäki gegangen. Außerdem war der Kosovo heilige Erde für die Serben, viele von ihnen waren bereit, dafür sogar ihr Leben zu geben. War es das? Griffen hier Serben die Finnen an, weil diese sich an der Vertreibung der Serben aus dem Kosovo beteiligt hatten?
    Bei ihrer Arbeit hatte Johanna gelernt, einseitige Ansichten und strenge Moralvorstellungen zu vermeiden. Die finnischen Politiker hingegen schienen nicht sonderlich zimperlich zu sein, wenn es darum ging, ihre Meinung die Angelegenheiten ferner Länder betreffend zu äußern. Schon vor Ort war es schwer genug, moralische

Weitere Kostenlose Bücher