Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
ausgesprochene Beschimpfung stand in so großem Kontrast zu dem Ambiente und zu der ganzen Situation, dass Danilo lachen musste. »Halt's Maul, Erkki! Wie oft soll ich dir das noch sagen?«, flüsterte AlaTurpeinens Parteigenosse und versetzte ihm erneut einen Stoß in die Rippen.
Die Beschimpfung war Ala-Turpeinens Lippen halb versehentlich entwichen, eigentlich wollte er sie nur vor sich hinmurmeln. Die Augen des Geiselnehmers im Sehschlitz seiner Sturmhaube verrieten kein Anzeichen von Belustigung, obwohl er kurz aufgelacht hatte. »Wie bitte?«, fragte er und sah in die Richtung, in der Ala-Turpeinen stand. »Wer hat das gesagt?«
Im Saal war es mucksmäuschenstill. Ala-Turpeinens Herz hämmerte unangenehm, und er hätte sich gern über die Stirn gewischt, über die ein von der Panik erzeugter Schweißtropfen rann.
»Anscheinend müssen wir alle bestrafen, wenn sich der Feigling nicht traut, vorzutreten.«
Stanko, der vor einer schönen Frau stehen geblieben war, richtete seine Aufmerksamkeit kurz auf Danilo: »Hör auf, konzentrieren wir uns lieber auf die angenehme Seite der Arbeit. Was über die schönen finnischen Frauen erzählt wird, scheint nicht übertrieben zu sein.«
Stanko grinste unter seiner Sturmhaube und griff nach der blütenförmigen Brosche am tief ausgeschnittenen Abendkleid der Frau. »Und wofür ist dieser Orden?«
Die Frau blinzelte mit ihren langen Wimpern, zeigte sonst aber keine Anzeichen von Nervosität.
»Warum bist du hier?«, fragte Stanko.
»Ich bin die Bildungsministerin.«
Stanko sah sie überrascht an. »Ich hätte dich für ein Model gehalten.« Er ließ den Blick über die gebräunten, perfekten Beine schweifen und hob mit dem Lauf der Maschinenpistole den Rock an. »Zum Beispiel für fesche Dessous... Wo verläuft bei dir die Bräunungsgrenze?« Die Frau erschrak, wich Stankos Blick aber nicht aus. Dieser ließ den Lauf langsam an der Innenseite der Schenkel nach oben gleiten. »Hör auf«, hörte man eine Stimme hinter ihm rufen. »Und komm her!« Stanko drehte sich um und sah Vasa mitten im Saal stehen. »l'll be back«, flüsterte Stanko und zwinkerte der Frau zu. »Vergeudet keine Zeit, sondern sammelt von allen die Handys ein!«, befahl Vasa.
Bis jetzt hatte er damit keine Eile gehabt, denn es gab wohl kaum eine effektivere Methode, außerhalb der Residenz für ein gewaltiges Durcheinander zu sorgen, als panische Anrufe der Geiseln bei ihren Angehörigen zuzulassen.
Stanko und Danilo fingen an, die Anzugtaschen der Männer und die Handtaschen der Frauen zu durchsuchen.
Johanna beobachtete das Vorgehen der Geiselnehmer genau. Sie sprachen untereinander Serbisch, offenbar in dem Vertrauen, dass niemand sie verstand.
Einer von ihnen trat vor Heinonen hin, schob ihm die Hand in die Innentasche seines Fracks und riss das Handy so heftig heraus, dass der Minister ein Stück nach vorne taumelte.
Johanna öffnete die Handtasche, die sie mit dem Kleid bekommen hatte, nahm das Handy heraus und reichte es dem Geiselnehmer. Dieser riss ihr trotzdem die Tasche aus der Hand und schaute hinein. Erst da fiel Johanna ein, dass sie die Frau nicht nach ihrem Namen gefragt hatte. Sie wusste nicht einmal, wessen Sachen sie trug.
Warum wühlt der Serbe so lange in dem Handtäschchen?, dachte Johanna mit zunehmender Besorgnis. Aber dann gab ihr der Mann plötzlich die Tasche mit einem Ruck zurück und ging zum nächsten Gast über.
Johanna blickte auf Vasa und sah diesen etwas zu dem Kameramann sagen. Der Mann reichte Vasa die schwere Schulterkamera, Vasa nahm sie, hob sie mit beiden Händen in die Höhe -und schleuderte sie mit aller Kraft zu Boden.
Im Nu war die Atmosphäre noch mehr angespannt. Es wurde still im Saal.
Hundert Menschen sahen Vasa an, der in die Hocke ging, die Kamera aufhob und so lange auf den Boden hämmerte, bis einzelne Teile meterweit flogen.
Der Fernsehschirm war schwarz, die Übertragung aus der Residenz beendet.
Vasa ging zu seiner Tasche und entnahm ihr etwas. Johanna kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können: eine VHS-Kassette. Vasa rief einen seiner Komplizen zu sich. Es war der Mann, der laut Minister Heinonen auf den Sicherheitsbeamten des Präsidenten geschossen hatte. Vasa schien seinem Komplizen nun Anweisungen zu geben. Dann reichte er ihm die Kassette. Anschließend nahm er das Handy, das der andere um den Hals hängen hatte, und wählte eine Nummer.
Wahrscheinlich würde er als Nächstes der Polizei seine Forderungen
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