Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
Kassette anonym an die Estonia Untersuchungskommission zu schicken.
Tero sah auf die Uhr. Auf jeden Fall würde er sich in zwei Stunden das Band komplett anschauen, bevor er entschied, was er tun sollte. Er schaltete den Fernseher ein und griff nach der Fernbedienung sowie nach der drahtlosen Tastatur, die beide auf dem Apparat lagen. Auf dem blauen Bildschirm erschienen die Wahlmöglichkeiten: Info, TV, Pay-TV, Internet. Tero wählte das Letztere, bestätigte, die Internetverbindung gegen Gebühr herstellen zu wollen, öffnete die Google-Seite und suchte nach Informationen über den Untergang der Estonia.
Er überflog die Zeilen. Als das Schiff neu war, hatte es unter dem Namen Viking Sally zwischen Turku und Stockholm verkehrt. Nach einer wechselvollen Geschichte fuhr es später mit dem Namen Estonia zwischen Tallinn und Stockholm hin und her, bis es am 28. September 1994 etwa fünfunddreißig Kilometer vor der finnischen Insel Utti sank und achthundertzweiundfünzig Menschen mit in die Tiefe riss.
Je länger Tero über die Kassette und die ganze Situation nachdachte, umso mehr nahm seine Irritation zu. Er las die Basisinformationen über das Unglück. Die Estonia war am Unglückstag kurz nach neunzehn Uhr in Tallinn losgefahren, mit Kurs auf Stockholm. Auf dem Meer war der Wind stärker geworden. Nach ein Uhr hatten Mitglieder der Besatzung sowie mehrere Passagiere eine starke Explosion und ein schabendes Geräusch gehört und gespürt; gleichzeitig stoppte die Fahrt des Schiffes. Man hörte lautes Knallen und mehrere ungewöhnliche Schläge. Das Schiff neigte sich stark, und es war schwer, für viele sogar unmöglich, auf den engen Gängen und Treppen vorwärtszukommen. Viele waren in ihren Kabinen eingesperrt. Die Treppengeländer rissen unter dem Gewicht der Menschen, die an ihnen hingen, aus den Wänden. Nur die Stärksten, haupt sächlich junge Leute und Männer mittleren Alters, schafften es aufs Außendeck. Als das Schiff weiter kippte, kletterten die Leute über die Reling auf den seitlichen Rumpf des Schiffes. Um 01.42 Uhr verschwand die Estonia von den Radarschirmen der herbeigeeilten Schiffe, tauchte aber noch einmal kurz auf. Um 01.50 Uhr war das Radarbild endgültig verloren.
Es war bestürzend, einen solchen Text zu lesen. Die Vorstellung, welche Panik an Bord geherrscht haben musste, war einfach entsetzlich. Tero schüttelte die beklemmenden Fantasiebilder ab und las den Text zu Ende, demzufolge es den zu Hilfe geeilten Schiffen und Hubschraubern gelungen war, unter extremen Bedingungen hundertachtunddreißig Menschen aus dem Meer zu retten. Tero kehrte zu den Suchergebnissen zurück und ging die Liste durch. Er öffnete einen Bericht, der die Arbeit der internationalen Untersuchungskommission scharf kritisierte. Der Text war ein einziger Angriff.
Unter einem anderen Link war die Rede von eventuellen Explosionen an Bord des Schiffes. In dem Zusammenhang wurde daran erinnert, dass man die sofort nach dem Unglück veröffentlichten Meldungen unbedingt beachten müsse, denn zu dem Zeitpunkt habe die Untersuchungskommission noch nicht das Monopol auf den einzig richtigen Blickwinkel gehabt. Tero wollte die Seite schon wieder schließen, klickte dann aber doch noch auf den Link zu einer Meldung der Tageszeitung Heisingin Sanomat, die zwei Tage nach dem Untergang des Schiffes veröffentlich worden war:
HS-Inland-30.9.1994
Estline-Manager: »Aufprall und Explosion«
TALLINN - »Die Estonia sank durch Fremdeinwirkung: entweder durch eine Explosion oder durch einen Aufprall unter Wasser.« Johannes Johanson, der estnische Geschäftsführer der Schifffahrtslinie Estline, ist sich seiner Sache sicher.
»Anders ist das Geschehen nicht zu erklären. Eine Autofähre wie die Estonia kentert nicht, selbst dann nicht, wenn man alle Lkws auf einer Seite ihres Rumpfes stapelt«, sagt Johanson. Am seltsamsten ist seiner Meinung die Tatsache, dass sich das Schiff innerhalb von fünf Minuten praktisch überschlug. Johanson hält die Aussagen einiger Überlebender für erstaunlich, die davon berichten, knapp unter der Wasseroberfläche etwas wie Untiefen gesehen zu haben. Untiefen aber gibt es in der Nähe der Unglücksstelle nicht.
Kapitän Alexander Gorbatschuk von der russischen Marine im Baltikum hat gegenüber der Nachrichtenagentur BNS erklärt, in der Region hätten sich zur fraglichen Zeit keine Schiffe oder U-Boote der russischen Marine aufgehalten.
Tero überflog weitere Überschriften und klickte
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