Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
werden, die ich selbst eingeladen habe.«
»Das Pflegepersonal hat nicht die Möglichkeit, über die Besucher zu wachen. Wenn wir aber eine Informationssperre verhängen, weiß niemand, in welchem Zimmer Sie liegen. Warum machen Ihnen die Besucher Sorgen? Sind Sie sicher, dass Sie nicht mit der Polizei sprechen wollen?«
»Keine Polizei.« Die Augen noch immer geschlossen, leckte sich Toomas die trockenen Lippen. Er nahm all seine Kräfte zusammen, um sich konzentrieren zu können. Er begriff, dass er sich in einer Lage befand, in der es nur schlechte Alternativen gab. Er musste die am wenigsten schlechte wählen.
»Die Polizei will mit Ihnen sprechen, weil Sie der Fahrer des Unfallautos waren und weil es sich um einen sehr schweren Unfall handelte«, sagte der Arzt.
»Der andere Mann im Auto ... Was ist mit ihm passiert?«
»Man hat an der Unfallstelle nichts mehr für ihn tun können, soweit wir wissen. Es tut mir leid.«
Obwohl der Inhalt des Satzes keine Überraschung war, tat es weh, ihn zu hören.
Toomas öffnete die Augen. Neben dem Bett war eine Schwester erschienen, dieselbe wie zuvor. Der Arzt entfernte sich.
Die Schwester richtete Toomas die Decke und fragte ihn, wie es ihm gehe. »Ich möchte telefonieren.«
»Später, jetzt sollten Sie sich ausruhen und ...«
»Bringen Sie mir bitte ein Telefon.«
Die Schwester musterte ihn forschend und ging dann ein Telefon holen. 107
33
Auf dem Flughafen Genf trat Tero durch den Metalldetektor und nahm anschließend die Plastiktüte mit der VHSKassette vom Band. Den Briefumschlag hatte er zusammengefaltet in sein Portemonnaie gesteckt. Auf dem Flughafen-WC hatte er seine Wunden abgewaschen und mit Papierhandtüchern abgedeckt. Die Angestellten von der Fluggastkontrolle nahmen es argwöhnisch zur Kenntnis, wie Tero bemerkte.
Er ging auf ein Geschäft zu, um sich dort Pflaster zu kaufen. Mit seinem geschickten Fahrstil hatte er sich durch den Verkehr geschlängelt, bis er sicher war, den Mann mit der Waffe abgehängt zu haben. Aber es wäre für den anderen nicht schwer zu erraten, dass Tero zum Flughafen wollte, weshalb er auf der Hut sein musste und bei jedem grauhaarigen Mann unwillkürlich zusammenzuckte.
Tero wusch sich erneut auf dem WC die Hände und verpflasterte seine Wunden. Das Boarding hatte begonnen, er konnte direkt in die Maschine gehen. Auf seinem Platz im hinteren Teil der Maschine angekommen, blickte er stumm über die Sitzreihen hinweg. Er hatte das Gefühl, immer tiefer in eine düstere Sackgasse hineinzugeraten, aus der es kein Entkommen gab. Nichts kam ihm mehr real vor ... und doch waren sein Entsetzen und seine Angst wirklicher als alles, was er seit langer Zeit erlebt hatte.
Die Stewardessen gingen auf dem Gang hin und her und schlossen die vollgestopften Gepäckablagen. Die Durchsage des Kapitäns teilte mit, alles sei zum Start bereit.
Teros Handy klingelte in dem Moment, als er es zur Hand nehmen wollte, um es auszuschalten. Der Anruf kam von einem Festnetzanschluss in Helsinki.
»Hier ist Toomas«, sagte eine heisere Stimme.
Ruckartig richtete Tero sich auf.
»Hast du den Inhalt des Schließfachs?«
»Ja«, antwortete Tero, nun ebenfalls heiser.
»Eine Kassette und eine Art Bankbeleg?«
»Was hat die Kassette mit Julia zu tun?«
»Bring sie mir, dann sage ich es dir. Je weniger du bis dahin weißt, umso besser ist es.«
Toomas beendete das Gespräch. Eine Stewardess ging den Gang entlang und kontrollierte, ob alle Sicherheitsgurte geschlossen waren.
Tero zögerte kurz, dann rief er Roni in Helsinki an.
»Besorge irgendwo einen Videorecorder!«, befahl er.
»Was faselst du da?«
»Tu, was ich dir sage. Und hole mich um 14.50 Uhr am Flughafen ab«, fügte Tero noch hinzu, bevor er auflegte.
An der Kasse des SMarkets in Hakunila packte Sirje eine Packung Hackfleisch, einen Liter Milch, eine Paprika und ein Stück Käse in eine Plastiktüte. Dabei gab sie sich Mühe, die Augen von den Schlagzeilen der Boulevardblätter fernzuhalten, aber die Titel waren nicht zu übersehen: MÄDCHENMÖRDER NOCH IMMERAUF FREIEM FUSS. Kimmo hatte die Zeitungen schon am Morgen gekauft, über neue Erkenntnisse bei den Ermittlungen stand nichts darin. Sirje bezahlte und ging langsam in den Sprühregen hinaus.
Vor dem Supermarkt meldete sich das Handy in ihrer Jackentasche. Es war eine Krankenschwester aus der Klinik Meilahti, in der Toomas lag. Sirje konnte ihren Schreck nicht verbergen.
»Keine Sorge. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass
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