Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
Sirje.
»Ungefähr. Aber er kennt nicht alle deine ... Theorien.«
Toomas sammelte Kräfte. »Ich fange von vorne an. Ihr müsst jetzt alles wissen, beide.« Er holte tief Luft und sah abwechselnd Kimmo und seine Schwester an. »Kehren wir in die Herbstnacht im Jahr 1994 zurück ... Ich befürchtete bereits das Schlimmste, als ich nach Mitternacht vom Untergang der Estonia erfuhr. Dennoch war es ein Schock, als ich hörte, dass unsere 112
Mutter ertrunken war. Immerhin sorgte es für ein bisschen Erleichterung, dass Vaters Name auf der vom Krankenhaus bestätigten Liste der Geretteten stand ...«
Mit feuchten Augen nahm Sirje Toomas' Hand.
»Die Liste wurde erstellt, indem man jeden Geretteten nach seinen Personalien fragte«, fuhr Toomas fort, bemüht, seine Stimme einigermaßen ruhig zu halten. »Vaters Name stand auf der Liste, aber Vater ist nie nach Hause zurückgekommen. Obwohl andere Gerettete ihn gesehen hatten. Wie ist das möglich? Du hast das alles als Tatsache akzeptiert, Sirje, ich nicht. Schon gar nicht, als es mit den Gerüchten losging. Ich versuchte, an jede denkbare Information zu kommen, aber es war unmöglich ...«
Toomas machte eine kurze Pause, dann sprach er weiter: »Eine offizielle, den internationalen Gepflogenheiten entsprechende Untersuchung des Unglücks ist nie gemacht worden. Im Gegenteil. Von Anfang an wurde versucht, alles Mögliche zu vertuschen. Das estnische Schiff sank in internationalen Gewässern, aber die Schweden hielten sich allein für berechtig, das Wrack zu untersuchen. Sie taten alles, um zu verhindern, dass irgendjemand anders an die Unglücksstelle kam. Der finnische Vertreter der Untersuchungskommission gab in der Öffentlichkeit falsche Koordinaten an. Die richtigen Koordinaten kannten nur die schwedische und die finnische Armee. Warum wurde so verfahren?«
»Die Estonia ist eine Zwangsvorstellung von dir geworden«, sagte Sirje. Toomas versuchte, seine trockenen Lippen zu befeuchten. »Gibst du mir etwas Wasser, bitte.«
Noch bevor Sirje reagieren konnte, sprang Kimmo auf und griff nach dem Wasserglas auf dem Nachttisch. Rasch steckte er Toomas den Strohhalm in den Mund. Toomas sog daran, und Kimmo verfolgte ungeduldig, wie die Flüssigkeit durch das Röhrchen lief.
Dann stieß Toomas den Strohhalm mit der Zunge aus dem Mund und fuhr fort: »Ja ... Man muss wohl von einer Fixierung sprechen, wenn man mit aller Kraft etwas zu tun versucht, was die anderen für sinnlos und verrückt halten.«
»Lass uns jetzt nicht darüber reden«, bat Sirje gequält.
»Lass ihn doch«, sagte Kimmo ungeduldig.
»Genau auf diese Dinge kommen wir jetzt zu sprechen.« Toomas bezog Kraft aus Kimmos unverhohlenem Interesse und richtete seine Worte mehr an ihn als an seine Schwester. »Eine Person, die von diesen Dingen weiß, ist mein Chef Anatoli Rybkin. Er ist Waffenhändler.«
»Geht es also doch darum?«, fragte Sirje erschrocken.
»Targa Trading tut nichts Illegales. Und ich am allerwenigsten, ich organisiere nur die Transporte. Aber vor meiner Zeit, Anfang der Neunzigerjahre, hatte Anatoli von Tallinn aus dunkle Geschäfte zwischen Ost und West laufen. Es wurde gemunkelt, er sei in den illegalen Verkauf von russischer Militär-und Raumfahrttechnik verwickelt gewesen. Und ein Teil dieser Komponenten wurde mit der Estonia transportiert.«
Kimmo zog seinen Stuhl näher an Toomas heran und blickte kurz zu Sirje. »Ich hatte die Hoffnung, Anatoli ausspionieren zu können, und deshalb den Job bei ihm angenommen. Vom Schicksal unserer Eltern habe ich ihm nichts gesagt. Zu Anatolis Geschäftspartnern gehörte auch ein gewisser Marcus Grotenfelt, ein schwedischer Geschäftsmann, der in Marbella lebt. In den Anfangsjahren versuchte ich, auf Firmenebene mit Grotenfelt in Kontakt zu kommen, aber Anatoli handhabte die geschäftlichen Kontakte zu dem Mann äußerst diskret. Und jetzt ...« Toomas verstummte erneut für einen Moment. »Ich hatte Grotenfelt im Wagen und sollte ihn zu Anatoli bringen, als der Unfall passierte. Aber es war eben kein Unfall, sondern ein Anschlag. Grotenfelt wurde durch einen inszenierten Zusammenstoß ermordet.« »Ermordet«, wiederholte Kimmo und starrte Toomas an. »Grotenfelt war früher Beamter beim schwedischen Militärgeheimdienst MUST. Das habe ich jedenfalls gehört. Und ich habe den starken Verdacht, dass er und Anatoli an den Geheimtransporten, die mit der Estonia gemacht wurden, beteiligt waren. Alle Behauptungen über solche von Armee und
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