Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
behandelte.
»Die Besuchszeit ist jetzt zu Ende. Es tut mir leid, aber Sie müssen gehen«, sagte der Arzt streng.
Toomas nickte matt. »Ich möchte gerne noch etwas gegen die Schmerzen ...« 117
Er richtete den Blick auf Sirje und sagte mühsam auf Estnisch: »Nimm meine Schlüssel aus der Nachttischschublade ... Ich habe von einigen Fotos aus dem Hafen in Tallinn Kopien gemacht. Sie sind in meinem Auto unter dem Rücksitz versteckt. Holt sie da raus und hebt sie gut auf ... Das Auto steht im Westend, in der Nähe von Targa Trading, auf der Straße. Tiiratie 8 ist die Adresse. Nimm auch den Schlüssel für meine Wohnung mit. Im Regal im Schlafzimmer stehen Ordner. Seht euch die an. Und nehmt ernst, was ihr darin findet.«
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Tero betrachtete Roni, der den Wagen gerade in westliche Richtung auf den Ring 1 lenkte. Der Junge wirkte entschlossen, sein Gesicht war ernst, der scharfe Blick fest auf die Straße gerichtet. Was aber ging hinter der Fassade vor?
Tero hatte beschlossen, als Erstes zu Toomas ins MeilahtiKrankenhaus zu fahren, um zu hören, worum es bei der ganzen Geschichte eigentlich ging. Nach Hause wollten sie vorerst nicht, denn jetzt war nicht der geeignete Moment, auf Polizisten zu treffen.
»Du solltest etwas langsamer machen«, sagte Tero zu Roni, der ruckartig und aggressiv fuhr.
Widerwillig reduzierte Roni die Geschwindigkeit. »Was hast du der Polizei über Valtteri erzählt?«
Tero fühlte sich bei dem Thema unwohl und schuldig, am liebsten hätte er gar nicht darüber geredet. Roni musste aber Bescheid wissen. »Ich habe behauptet, er hätte sich an dem Abend, an dem Julia starb, dein Auto geborgt. Aber Valtteri behauptet, er hätte ein Alibi für die Zeit.«
»Wer glaubt den Behauptungen eines durchgeknallten Fixers?« »Hoffentlich glaubt wenigstens niemand, was er über deine Steroidgeschäfte erzählt hat.«
»Wo warst du heute eigentlich? Wie kannst du in so einer Situation einfach verschwinden und mich allein lassen?«
Roni schien sofort das Thema wechseln zu wollen. Tero wog die Lage ab. Er konnte die Wahrheit nicht verschweigen, ganz gleich, mit welchen Konsequenzen Toomas drohte. Roni war die ganze Zeit bei ihm, es war besser, wenn der Junge die Wahrheit kannte. Falls ein Killer Tero auf den Fersen war, wäre Roni in noch größerer Gefahr, wenn er überhaupt nicht wüsste, worum es eigentlich ging.
»Laut Toomas befand sich im Bankschließfach von Marcus etwas, das mit Julias Tod zu tun hat. Ich bin nach Lausanne gefahren und habe eine VHSKassette und einen Briefumschlag aus dem Depot geholt.«
Roni warf ihm einen überraschten Blick zu, schaute aber gleich wieder auf die Straße.
»Im Hotel konnte ich den Anfang des Bandes ansehen«, sagte Tero. »Es sind Taucheraufnahmen von der Estonia.«
Roni schien verdutzt. »Von der Fähre?«
»Es war noch jemand hinter der Kassette her. Und dieser Jemand hat versucht, mir die Kassette mit Gewalt abzunehmen. Er war bereit, mich umzubringen.«
Roni wirkte ungläubig.
»Ich bin aus dem Hotelfenster geflohen, dabei hat er auf mich geschossen. Toomas hatte mich gewarnt. Wer den Inhalt des Schließfachs hat, dessen Leben ist nicht mehr viel wert, hat er gesagt. Er verbot mir sogar, mit dir darüber zu reden.«
Roni musste kurz verdauen, was er gehört hatte, dann fragte er: »Was war in dem Briefumschlag?«
»Die Kopie eines Bankbelegs.«
»Und was soll das alles mit Julia zu tun haben?«
»Bald werden wir es hören. Toomas soll uns alles erzählen, wenn er den Inhalt des Schließfachs haben will.«
Roni fiel es eindeutig schwer, zu glauben, was er erfahren hatte, aber er gab sich Mühe. Er fuhr auf die Hämeentie ab und weiter in Richtung Meilahti. »Hatte Marcus etwas mit der Estonia zu tun? Was hat er überhaupt getrieben? Wo hatte er das ganze Geld her?«, fragte Roni.
»Da gibt es alle möglichen Gerüchte.«
»Dass er bei Immobiliengeschäften Geld gewaschen hat?«
»Ja.«
»Und woher stammte das Geld? Von der Mafia?«
»Marcus hat sicher auch alleine gute Geschäfte gemacht«, sagte Tero. »Er zog Mitte der Neunzigerjahre nach Spanien, da ging der heißeste Immobilienboom gerade erst los. Aber ursprünglich arbeitete er für die schwedische Armee. Gerüchten zufolge als eine Art Agent. Mit solchen Sprachkenntnissen und so einer Teflonschicht, wie man sie in dem Job erwirbt, kann man sicher auch in der freien Wirtschaft Erfolg haben. Und der schwedische Militärgeheimdienst schmuggelte russische Waffentechnologie der
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