Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
Zoll durchgeführten Schmuggeltransporte wurden natürlich als Gerüchte abgetan, bis ein schwedischer Zollbeamter die Richtigkeit der Behauptungen bestätigte. Aber die schwedischen Behörden vertuschten das Ganze, auch wenn ich noch so oft dort anrief, Briefe schrieb und weitere Auskünfte forderte.«
»Ich konnte deine Fahrten nach Stockholm nie ernst nehmen«, sagte Sirje. »Du warst wütend auf die Schweden, und ich machte mir immer mehr Sorgen wegen deiner wahnsinnigen Verschwörungstheorien ...«
Toomas nahm keine Notiz von Sirje, sondern sprach weiter: »Schließlich kam es im Frühling zu einer Wende. Ein alter Bekannter von unserem Vater nahm von Tallinn aus Kontakt zu mir auf. Er hatte gehört, dass ich über Vaters Schicksal forschte, und meldete sich, weil er im Hafen von Tallinn Chef des Wachdienstes gewesen war. Jetzt lag er wegen immer schlechter werdender Nierenfunktion im Krankenhaus und wollte sein Gewissen erleichtern. Er erzählte mir, er habe in seinem Wochenendhaus brisante Fotos versteckt. Ich holte mir die Fotos, und das hier ist eines davon.«
Sirje und Kimmo schauten sich erneut die Kopie des Fotos an, auf dem Toomas' und Sirjes Vater in einer reflektierenden Weste bei der Rampe zum Autodeck stand; er hielt Papiere in den Händen und kontrollierte offenbar den Ladevorgang. Er beugte sich zu der Seitenscheibe eines Autos hinunter und schien mit dem Fahrer zu sprechen.
»Seht ihr den Mann direkt neben der Laderampe?«
Dort stand ein blonder, mittelgroßer Mann.
»Das ist Marcus Grotenfelt. Schaut euch das Datum am unteren Bildrand an.« 27.9.1994,18.13.44 Uhr.
»Hier wird die Estonia für ihre letzte Fahrt beladen«, sagte Toomas heiser. Das Reden kostete ihn Kraft, auch wenn er keine Schmerzen hatte. »Neben Grotenfelt steht ein zweiter Beamter des schwedischen Militärgeheimdienstes ...«
Dieser Mann war jünger, er hatte längere blonde Haare, eine außergewöhnlich kleine Nase und breite Lippen.
In dem Moment hörte man Schritte vor der Tür. Die Schwester kam herein. »Der Patient braucht Ruhe, die Besuchszeit ist vorbei.«
»Einen Moment noch«, sagte Kimmo zu der Schwester.
»Nein, ich muss Sie bitten, jetzt zu gehen.«
»Nur noch einen ganz kleinen Augenblick, auf ein paar Minuten kommt es doch nicht an«, sagte Kimmo verärgert.
»Zwei Minuten«, sagte die Schwester ebenso gereizt. »Ich bin gleich wieder zurück.«
»Schnell«, trieb Kimmo seinen Schwager an. »Was hat Julia mit all dem zu tun?«
»Grotenfelt war vor einiger Zeit bei Anatoli in Espoo. Ich habe etwas von ihrem Gespräch mitgehört. Sie stritten sich. Grotenfelt sagte, er habe in seinem Bankdepot in Lausanne Beweismaterial liegen, das mit der Estonia zu tun habe. So wie ich es verstand, war das eine Art Lebensversicherung für ihn. Sirje ...«
Toomas nahm alle Kraft zusammen, um zum schwierigsten Punkt zu kommen. »Du hast meinen Verdacht in Sachen Estonia immer als Spinnerei abgetan. Du hast mir nie geglaubt. Aber Julia wollte mir helfen. Sie wollte das Schicksal ihres Großvaters ergründen.«
Die Atmosphäre im Zimmer war nun wie elektrisch aufgeladen. Kimmo rückte noch näher an Toomas heran.
»Wie wollte sie das tun?«
Toomas machte eine Pause, bevor er fähig war, weiterzusprechen. »Julia war wahnsinnig interessiert an allem, was mit der Estonia zu tun hatte. Andere in ihrem Alter sehen sich >Akte X< an, sie hat geheime Akten im realen Leben studiert. Aber zu dem Zeitpunkt war man mir schon auf der Spur, obwohl ich das noch nicht wusste ...«
»Wer war dir auf der Spur?«
Toomas biss sich auf die Lippe und sammelte noch einmal Kräfte. Allmählich kehrte der Schmerz in die Beine und den ganzen Körper zurück. »Diejenigen, die dafür sorgen wollen, dass die mit der Estonia
durchgeführten Geheimtransporte nicht ans Tageslicht kommen. Das Foto ...« Seine Stimme brach. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie brisant es ist... Man sieht darauf zwei Mitarbeiter vom schwedischen Militärgeheimdienst MUST. Und höchstwahrscheinlich das Auto, mit dem etwas Geheimnisvolles auf das Schiff gebracht wird. Der MUST hat erfahren, dass in Tallinn Fotomaterial in Umlauf gekommen ist. Dort gibt es Leute, die von den Transporten wissen ... Dieses Thema spaltet auch die Esten. Ich bin in Helsinki beschattet worden. Jedenfalls kam es mir so vor.«
Toomas' Stimme wurde schwächer, auch wenn er sich noch so sehr zwang, gelang es ihm nicht mehr, Kraft in sie zu legen. »Dann bekam Anatoli Besuch von einem
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